Alicja
Rogalska
Die Grundlage von Alicja Rogalskas künstlerischer Praxis ist ein gemeinsames Bemühen, die Logik des Kapitalismus in Kontexten, die von sozialer Ungleichheit bis zu Migration, Gender, der Performativität von Recht oder der Klimakrise reichen, in Frage zu stellen. Zu diesem Zweck arbeitet sie mit verschiedenen Personengruppen zusammen, darunter MusikerInnen, MigrantInnen, AnwältInnen, Bäuerinnen und Bauern, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen.
Rogalskas Arbeit ist im Konzeptuellen verwurzelt. Zuerst entwirft sie eine Situation mit einem festgelegten Satz an Parametern; dann ermöglicht sie einen Gruppenprozess, der Raum für Improvisation lässt. Ihre Arbeiten sind oft hyperlokal, berühren aber universelle Themen, die sie aus eigenwilligen Blickwinkeln betrachtet, oft mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Sie ist bestrebt, den breiteren politischen Kontext der Handlungen ihrer MitarbeiterInnen aufzuzeigen, ebenso wie deren Stärke und Handlungsmacht – ob es sich nun um ausgebildete Fachleute, HilfsarbeiterInnen oder Geflüchtete handelt. Es ist nicht ihr Ziel, für andere zu sprechen, sondern ihnen eine Stimme zu geben, indem sie Momente der Solidarität und Einheit in einem System hervorhebt, das Wettbewerb grundsätzlich befürwortet.
Alicja Rogalska wuchs in einem kleinen Dorf im Nordosten Polens in einer großen Mehrgenerationen-Bauernfamilie auf, die sich in der lokalen Genossenschaftsbewegung engagierte. Sie studierte zunächst Kulturwissenschaften an der Universität Warschau, wo sie einen anthropologischen Ansatz sowie Erfahrungen in Feldforschung und Kollaborationsmethoden entwickelte, bevor sie nach Großbritannien zog und 2011 ihren Abschluss mit einem MFA von Goldsmiths machte. Ihre Arbeit stützt sich auf Feminismus und experimentelle Lernmethoden, wie Prozessbegleitung, gewaltfreie Kommunikation, Arbeit mit dem Körper, Methoden der Fürsorge und Koedukation sowie nicht-hierarchische Strukturen. Neben Diskussionen, Besprechungen und Interviews setzt sie auch kontextbezogene und verkörperte, archivarische und theoretische Forschung ein. Ihre Zusammenarbeit mit Menschen, die sich auch außerhalb der Kunstwelt bewegen, führt sie dazu, Werke in kunstfernen Kontexten zu produzieren und zu präsentieren.
Rogalska nutzte Live Action Role Play, um gemeinsam mit feministischen und queeren AktivistInnen in Wien (NOVA) ein Stück futuristischer Fiktion zu schreiben; mit ehemaligen jugoslawischen StaatsbürgerInnen, die in Slowenien staatenlos geworden waren, erarbeitete sie Kostüme, die deren Erfahrungen mit illegalem Aufenthalt und Strategien der Resilienz reflektierten (The Aliens Act); sie arbeitete mit WarschauerInnen zusammen, um zukunftsorientierte, spekulative Stadtführungen zu organisieren (Pre-enactments); konsultierte verschiedene ExpertInnen in Japan – KI-EntwicklerInnen, PolitikerInnen, AkademikerInnen und Menschen in Pflege- und Betreuungsberufen – über die Zukunft von Arbeit generell, und Fürsorgearbeit im Speziellen (Onodera San’s Dream For The Future); sie engagierte landwirtschaftliche WanderarbeiterInnen auf Jersey in einem Projekt, das ihre Arbeitsbedingungen untersuchte (The Royals); sie bat Asylsuchende und Geflüchtete in London, die ausgebildete JuristInnen waren, über bestehende und denkbare legale Fiktionen im Einwanderungsrecht nachzudenken (What If As If); sie lud AktivistInnen in Polen ein, während einer öffentlichen Hypnosesitzung gemeinsam mögliche Szenarien für eine zukünftige Gesellschaft zu artikulieren (Dreamed Revolution); sie eröffnete einen provisorischen Laden, in dem alle, die vorbeikamen, zusammen weinen und ihre Tränen gegen Bargeld verkaufen konnten (Tear Dealer); und mit einer Volksliedergruppe schrieb sie ein neues Volkslied über die sozioökonomische Situation auf dem postkommunistischen Land (Broniów Song).
Die Videos, die Rogalska aus den Aufnahmen ihrer partizipatorischen Projekte macht, sind inspiriert von der dokumentarischen Tradition, von Community Filmmaking und experimentellen Videotechniken. Sie legt die Präsenz der Kamera frei, filmt oft aus der Hand und setzt Nahaufnahmen ein, um Entfernungen zu überbrücken und ein Gefühl der Intimität zu erzeugen.
Ein Hauptinteresse von Alicja Rogalska ist das emanzipatorische Potenzial von Kunst, das durch den Aufbau alternativer Erzählungen und Bilder entfaltet werden kann. Ihre Arbeit wird von Hoffnung getrieben und vom Einsatz für Veränderung befeuert. Während ihre früheren Projekte die Funktionsweise der Gesellschaft offengelegt haben, um soziale Ungleichheiten aufzudecken, interessiert sie sich gegenwärtig für den utopischen Impuls als Methode, eine konkrete Situation zu analysieren und sich vorzustellen, wie sie anders sein könnte, insbesondere im Kontext der Klimakatastrophe. Zukunftsvisionen in der sozialen Kunstpraxis sind Gegenstand der derzeitigen Forschung für ihre Doktorarbeit.
Rogalska stellt ihre Arbeit international aus, zuletzt: Kunsthalle Wien (Wien), OFF Biennale (Budapest), Museum für Moderne Kunst in Warschau, TABAKALERA (San Sebastian), Art Encounters Biennale (Timișoara), Tokyo Photographic Art Museum, Biennale Warszawa, Kyoto Art Centre, Artsadmin (London), Muzeum Sztuki (Łódź), nGbK (Berlin), Kochi-Muziris Biennale und Ashkal Alwan (Beirut).
Text: Alexandra Jach
Übersetzung: Anna Jäger