João Pedro
Rodrigues
Die lange Tradition des portugiesischen Avantgarde-Kinos mit Vertretern wie Manoel de Oliveira und Pedro Costa erweitert João Pedro Rodrigues um seine ebenso formal konsequente wie elliptische Poesie. Mit seinen Filmen über die Mysterien menschlicher Begierde und Sexualität, aber auch das Verhältnis von östlicher und westlicher Kultur, ist er seit 1997 regelmäßig auf allen wichtigen internationalen Festivals wie Venedig, Berlin, Cannes und Locarno vertreten und wurde mehrfach ausgezeichnet.
Seine Zusammenarbeit mit João Rui Guerra da Mata brachte einige der ungewöhnlichsten portugiesischen Filme der letzten zehn Jahre hervor. Institutionen wie das Harvard Film Archive und die Festivals in Toronto sowie Taipei widmeten ihm bereits Retrospektiven. Seine Werke sind Teil der ständigen Ausstellung des MoMA, des Harvard Film Archive und des Österreichischen Filmmuseums. „Meine Arbeit dreht sich immer auf die eine oder andere Weise um die Echos des klassischen Films im zeitgenössischen Kino, sei es fiktional, dokumentarisch oder experimentell, und auch um ihren sozialen und politischen Widerhall; sie handelt auch von dem abgründigen Mysterium der geschlechtlichen Identität in der Gegenwart.“ (João Pedro Rodrigues)
João Pedro Rodrigues wurde 1966 in Lissabon geboren, wo er bis heute lebt. Aufgrund seines Interesses an Vögeln studierte er zunächst Biologie und danach Filmregie. Er hat bislang fünf Spielfilme und mehr als zehn Kurz- und Dokumentarfilme realisiert. Sämtliche seiner Langfilme und viele seiner kürzeren Werke wurden in mehreren Ländern, insbesondere in den USA, sowohl im Kino als auch Fernsehen gezeigt. Er arbeitete zunächst als Regieassistent, Schnittassistenz und Cutter, unter anderem bei Pedro Costa und Teresa Villaverde. 1997 feierte sein Kurzfilm Happy Birthday! auf dem Festival von Venedig Premiere und wurde dort mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet. Neben seiner filmischen Tätigkeit wurde João Pedro Rodrigues auch mehrmals in namhafte Jurys wie 2011 für die Cinéfondation, die Goldene Palme für Kurzfilme in Cannes sowie 2012 als deren Präsident, berufen.
Seit seinem ersten Kurzfilm verfasst João Pedro Rodrigues die Drehbücher gemeinsam mit dem Szenenbildner João Rui Guerra da Mata. Seit 2011 drehen sie ihre Filme in Co-Regie – darunter Alvorada Vermelha (2011) und A Última Vez Que Vi Macau (2012), der am Concorso internazionale in Locarno teilnahm und eine besondere Erwähnung der Jury erhielt. 2015 entstand unter ihrer Regie der Dokumentarfilm IEC Long, der auch in Berlin zu sehen war.
Die Filme von João Pedro Rodrigues kreisen um zwei sehr unterschiedliche Themenfelder: Der menschliche Körper als Spiegelbild der portugiesischen Nation sowie Portugals koloniale Vergangenheit am Beispiel Macaos. Immer aber geht es um Metamorphosen, Verwandlung – seien es die des Körpers oder die der Landschaft. In Filmen wie To Die Like A Man (2009), Odete (2005), O Fantasma (2000) und auch seinem jüngsten Werk O Ornitólogo (2016) erkundet João Pedro Rodrigues die Variabilität geschlechtlicher Identität. In dem Kurzfilm IEC Long (2014) und dem Langfilm The Last Time I Saw Macao (2012) dagegen setzt er sich gemeinsam mit João Rui Guerra da Mata und mit Hilfe von dessen Kindheitserinnerungen mit der ehemaligen portugiesischen Kolonie Macao auseinander, die seit 1999 zu China gehört. Die beiden Regisseure nennen ihre dort beheimateten Werke die „asiatischen“ Filme. Geschichte, Mythos und persönliche Erinnerung bilden den erzählerischen Hintergrund. Ihre filmische Untersuchung beschreibt das Medium Kino selbst als eins der wichtigsten Werkzeuge bei der Exotisierung und Kolonialisierung des Fernen Ostens. The Last Time I Saw Macao verknüpft unterschiedlichste Stile: Die Narration wandelt sich spielerisch von einer Detektivgeschichte im Stil des Film noir über ein verschrobenes filmisches Essay zum unterkühlten Stadtporträt.
Klang und Musik setzt Rodgrigues in seinen Filmen ebenso radikal wie präzise ein: O Fantasma etwa ist beinahe stumm bis auf einen infernalischen Hundechor aus Winseln und Bellen. Der Soundtrack von Odete dagegen beinhaltet Bright Eyes, Andy Williams und etliche Versionen von Moon River, und To Die Like A Man ist praktisch ein Musical. Doch „the most downbeat film ever made about transsexuals“ (Screen) ist wie alle Filme von Rodrigues das Gegenteil von spektakulär oder effektheischend. Er hat ein Auge für das perfekt unpassende Enigma: ein in Folie eingepacktes Auto als Geburtstagsgeschenk, eine lose Reihe von Dingen, die in ein Aquarium geworfen werden: ein abgenagter Knochen, ein Familienfoto, ein Stiletto.
Über Odete (Two Drifters, 2007) schrieb die New York Times „Two Drifters bestätigt eindeutig das Erscheinen eines bedeutenden und kühnen neuen Talents!“ Und Time Out New York urteilte: „Überwältigend – möglicherweise die aufregendste neue Stimme im heutigen World Cinema.“ Der Film nimmt Anleihen bei Hitchcocks Vertigo und Bergmans Persona. Die verstörenden Studien über Identität und Obsession standen Pate für dieses portugiesische Melodram, „dessen delirierendem, absurdem Charme man sich nicht entziehen kann.“ (Pro-Fun Media)
Text: Maike Wetzel
2016 O Ornitólogo (Spielfilm, 118’)
2014 IEC Long (Kurzfilm in Co-Regie mit João Rui Guerra da Mata, DCP/Farbe, 31‘)
2013 Allegoria della Prudenza (Episode/Kurzfilm, DCP/Farbe, 1,5’) anlässlich 70 Jahre Festival de Cannes
2012 The Last Time I Saw Macao (Langfilm, DCP/Farbe, 85‘)
2009 To Die Like A Man (Spielfilm, 133‘)
2005 Odete (Spielfilm, 98‘)