Hanno Leichtmann: Ferrochrome

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14.10.2023 – 15.10.2023 / 12:00 – 19:00

Klanginstallation zu 60 Jahren Berliner Künstlerprogramm des DAAD
Eröffnung: 13.10.2023, 17:00-20:00 Uhr

In seinen Projekten und Installationen beschäftigt sich Hanno Leichtmann immer wieder mit der Frage, was historische Musiksammlungen und technische Standards zu erzählen haben. Seine für das 60. Jubiläum des Berliner Künstlerprogramms entstandene Arbeit Ferrochrome interveniert an der Schnittstelle von zwei Werkreihen, die Leichtmann hiermit erstmals verbindet: Seine Auseinandersetzung mit den ästhetischen Implikationen bestimmter Abspielgeräte und Standards trifft auf seine kreative Erforschung von Klangarchiven, um diese „zum Sprechen zu bringen“.

Nach Projekten mit ikonisch designten Schallplattenspielern und CD-Playern inszeniert Ferrochrome nun zwei Studio-Tape-Decks als Interpreten eines möglichen Gesamtklangs aus 60 Jahren BKP. Sie reaktivieren die Performances der vielen Akteur:innen, die das Archiv über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben, auf einem Format, das ebenfalls vor genau 60 Jahren entwickelt wurde.

Große Teile des Tonarchivs des BKP, vor allem ab den 1980er Jahren, liegen in Kassettenform vor: auf VHS-, U-matic-, DAT-, aber hauptsächlich auf Kompaktkassetten, die 1963 erstmals verfügbar wurden. Der Bestand umfasst rund 2.000 Tonträger, auf denen sich unterschiedlichste Werke von DAAD-Fellows aus verschiedenen Generationen und Genres finden.

Teile dieses Materials hat Leichtmann direkt aus dem Archivschrank digitalisiert. Aus der Vorauswahl entnahm er wiederum rund 300 Klangproben und bearbeitete sie in seinem Sample-basierten Modularsystem. Geleitet von algorithmischen Operationen und spontanen Entscheidungen entstand eine 60 Minuten lange Komposition, die, verteilt auf zwei Audiokassetten und deren Abspielgeräte, auf vier unabhängigen Kanälen wiedergegeben wird.

In seinen kleinsten Einheiten ebenso wie in der Gesamtstruktur greift Ferrochrome immer wieder auf die Abfolge Decay, Attack, Attack, Decay (DAAD) zurück. Leichtmann transponiert die Bruchteile eines Klangs – den Anschlag (Attack) und Abfall (Decay) einer Hüllkurve in ihren mannigfaltigen Variationen – als Gestaltungsprinzip auf das gesamte Werk: eine Collage aus anschwellenden und abebbenden Attack/Decay-Wellen, mit Spiegelungen der Mikro- auf der Makro-Ebene, in einer sich ständig wandelnden Abfolge szenischer Klangbilder.

Auch in Passagen, wo Sprache als Ausgangsmaterial verwendet wird, verbinden sich die Klänge nicht zu semantisch entschlüsselbarem Sinn. Sie sind zur Unkenntlichkeit manipuliert oder übereinander montiert und werfen in dieser abstrahierten Form umso dringlicher zentrale Fragen auf: Wie lässt sich ein Archiv produktiv nutzen? Wie umgehen mit seiner Vielfalt? Wie aus dem bisher Überhörten neue Bedeutung generieren?

Hanno Leichtmann antwortet darauf mit der Opposition und Kombination von Frequenzen, physisch erlebbar in einem Raum, der erst im Zusammenspiel aller Elemente dieser Versuchsanordnung entsteht. Damit macht Ferrochrome unüberhörbar: Ein Archiv, das nicht sprechen lernt, wird auch niemand verstehen.

Text: Arno Raffeiner

Gefördert von:

Vergangen

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