Mexiko, Bildende Kunst, 2011

Mariana
Castillo Deball

Es beginnt mit der Geschichte. Mit der Zeit vor Heute und den schwierigen und letztlich unmöglichen Zugängen zu ihr. Es beginnt in der Arbeit von Mariana Castillo Deball also mit dem, was war und doch geht es vielmehr um das, was ist: um Erinnerung und Archäologie, um Museen, Ausstellungen, um Fundstücke und deren Display, kurz: um die Modi der Annäherung, die Mechanismen der Positionierung und der Produktion von Wissen, mit denen sich das Heute aus dem Gestern konstituiert.

Für ihr großangelegtes Projekt Estas ruinas que ves (2005), das aus einer Ausstellung im Museo dell Arte Carillo Gil in Mexiko Stadt, einem Audioguide sowie einer begleitenden Publikation bestand, beschäftigte Deball sich etwa weniger mit den mesoamerikanischen Fundstücken, die zunächst in seinem Zentrum zu stehen scheinen, als vielmehr mit den Politiken ihrer Aufarbeitung und Ausstellung. Indem sie sich die Techniken des Museums und seine Vehikel der Vermittlung zueigen macht, erzählt Deball mit dieser Meta-Ausstellung mit aus den Archiven hervorgeholten didaktischen Materialien, alten Abdrücken und Modellen von Statuen, gefundenen Fotos und Texten weniger davon, was gezeigt, wird, als vielmehr davon, wie gezeigt wird. Was sichtbar wird, ist, wie es Jesse Lerner im Einleitungstext zu Deballs Projekt nennt, der „negative Raum rund um die ausgestellten Exponate“, ein immer auch ideologisch vereinnahmender Raum, in dem Vergangenheit als blinder Fleck und Projektionsfläche der Gegenwart entsteht.

Was für dieses Projekt im großen Maßstab realisiert wurde, funktioniert jedoch auch in kleineren Arbeiten, etwa dem Scherenschnitt The stronger the light your shadow cuts deeper (2010) um die Göttinnenfigur Coyolxauhqui, die in der aztekischen Mythologie den Mond repräsentiert. Deball beginnt mit einer 1978 bei Straßenbauarbeiten gefundenen Skulptur dieser Figur und übersetzt sie in einen filigranen und lose an der Wand hängenden Scherenschnitt. Die Skulptur verliert buchstäblich ihre steinerne Festigkeit und wird zur leeren und füllbaren Form. Zum Material in den Händen der Interpretation, das sich aneignen, verzerren und verbiegen lässt.

Immer wieder stülpt Deball in ihrer Arbeit das Vorgefundene in sich zurück und wendet Techniken in einer selbstreferentiellen Schleife auf sich selbst an. Sie bedient sich dabei künstlerischer Methoden wie der Ortspezifizität und der Institutionskritik und kombiniert diese mit Ansätzen aus Archäologie, Literatur und Wissenschaft. Im so entstehenden Spannungsfeld gelingt es ihr nicht nur, auf einem strukturellen Niveau Aussagen über die Produktion von Wissen vor der Folie letztlich unwissbarer Vergangenheit zu treffen. Vor allem skizziert sie die Geburt der Geschichte aus dem Geist der Gegenwart.

Vergangen

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