Wojciech
Kuczok
Wojciech Kuczok, 1972 in Chorzów/Oberschlesien geboren, studierte in Katowice und arbeitete als Sportjournalist und Filmkritiker. Seit 1992 veröffentlichte er Gedichte und Erzählungen, unter anderem in der Gazeta Wyborcza und Rzeczpospolita. Sein erster Erzählband erschien 1996, weitere folgten, sie trugen ihm einhelliges Kritikerlob und etliche Auszeichnungen ein, sowie gelegentliche Vergleiche mit Witold Gombrowicz.
Für seinen Roman „Gnój“ („Dreckskerl“) erhielt er 2004 den wichtigsten polnischen Literaturpreis Nike sowie den Nike-Publikumspreis. Auf der Grundlage dieses Romans verfasste er das Drehbuch zu dem Film „Pr?gi“ („Die Striemen“) von Magdalena Piekorz, der im selben Jahr den Hauptpreis des Filmfestivals in Gdynia erhielt und als polnischer Kandidat für den Oscar nominiert wurde. Ein weiterer Spielfilm ist in Vorbereitung. Zur Zeit beendet Wojciech Kuczok einen neuen Roman und setzt seine Arbeit als Theaterautor fort, die mit der Dramatisierung seiner Erzählung „Dr. Haust“ für das Warschauer Studio Theater begonnen hat. Wojciech Kuczok lebt in Chorzów.
Ein Autor, der das Unaussprechliche, Unsagbare in geschliffenen Sätzen von solcher Schönheit und Musikalität ausdrückt, dass man seine Kühnheit und Radikalität fast übersehen könnte. Aber nur fast, denn die physischen Schmerzen und seelischen Qualen, die viele seiner Protagonisten erdulden, werden gerade durch eine sublime Sprache spürbar, die alle Nuancen – auch die einer mal subtilen, mal derben Komik – zulässt. So macht sie auch die Kehrseite des Leids erfahrbar, beschwört das Glück herauf, die Liebe, die Freiheit – die um einen hohen Preis zu erringen ist. Immer wieder hebt Kuczoks Sprache die Grenze zwischen Tragik und Farce auf, sie besticht durch einen so eigenwilligen wie wirksamen Witz. Anders als seine existenziellen Themen auf den ersten Blick verheißen, ist Kuczok ein großer Humorist. Als Essayist trat er vehement für den Sieg des Lachens über das katholisch-nationalistische Regime der Gebrüder Kaczynski ein und wurde schon als Kind wegen seiner unbändigen Spottlust, die jeglicher Form von Autorität galt, gerügt.
In Kuczoks Erzählband „Im Kreis der Gespenster“ („Widmokr?g“, OA 2004) gehen Liebe und Tod oft eine überraschende Verbindung ein, und so ist in diesem schmalen Buch Platz für alle denkbaren Spielarten und Stimmungen: von der überaus sinnlich-erdigen ersten Liebe eines Stadtjungen zu einem Mädchen vom Land über die Einsamkeit eines Psychologen, der sich auf verlassene Ehemänner spezialisiert hat, bis zu einer Symbiose, die selbst die Vergänglichkeit des Körpers übersteht. So gefährdet und verletzlich die Menschen in diesem literarischen Kosmos erscheinen, zeichnen sie sich oft durch eine Vorstellungs- und Willenskraft aus, die ihnen zuweilen erlaubt, Lebensschranken – wenn nicht den Tod selbst – zu überwinden. Wie im Fall des jungen Geschäftsmanns, der auf einer Parkbank einem Bettler von engelsgleicher Schönheit begegnet; der Bettler offenbart dem anderen, ganz ohne Worte, seine bisher nicht eingestandene Homosexualität und befreit ihn von seiner Zwangsjacke, in diesem Fall ein teurer Designeranzug, Inbegriff des seelenlosen Karrieremenschen. Oder wie die junge Nonne, die sich für die Dauer einer Zugfahrt mit allen Sinnen einem himmlischen Liebhaber hingibt – dem Fahrtwind, der durch das offene Fenster dringt.
Der Roman „Dreckskerl“ handelt von einem klassischen Sujet – dem Niedergang einer Familie vor bewegtem zeithistorischem Hintergrund -, allerdings wählt Kuczok dafür einen ganz eigenen Ansatz, wie Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung bemerkt: „Der Krieg, die deutsche Besatzung, dann die Volksrepublik Polen … all das ist in diesem Buch vorhanden. Aber es bestimmt nicht die Gesetze, nach denen hier erzählt wird. Denn die Wucht, die Härte und der böse Witz dieses Familienromans gehen aus der Entschiedenheit hervor, mit der sein Autor die Zeitgeschichte auf Distanz hält. Das unterscheidet (ihn) vom Gros der Familienromane, die im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland erschienen sind.“ Die Trostlosigkeit, dumpfe Gewalt und Verzweiflung, die fast ein ganzes mitteleuropäisches Jahrhundert geprägt haben, stellen sich hier auf engstem privatem Raum ein, in einem verfallenden Haus irgendwo in Schlesien. „Dreckskerl“ – das ist der Kosename, mit dem der alte K. seinen verachteten schwächlichen Sohn ruft, um ihm wieder einmal eine Tracht Prügel zu verpassen. Am Ende werden die machtvolle Imagination und der ironisch gebrochene Rückblick des Sohnes über die Brutalität des Vaters siegen, während das Haus, Schauplatz so vieler familiärer Schlachten, komplett in Jauche versinkt. Eine böse Vision voller bezwingender, emanzipatorischer Schönheit – das vermag die Magie des Erzählers Wojciech Kuczok.
Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung:
Im Kreis der Gespenster. Erzählungen. Aus dem Polnischen von Friedrich Griese. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
Dreckskerl. Eine Antibiographie. Aus dem Polnischen von Gabriele Leupold und Dorota Stroińska. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
Höllisches Kino. Über Pasolini und andere. Aus dem Polnischen von Gabriele Leupold und Dorota Stroińska. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008