Norwegen, Musik, 2013

Øyvind
Torvund

Foto: Stian Andersen

Øyvind Torvund, 1976 in Oslo geboren, gehört zu den Komponisten, die sich nicht damit abfinden, das Erbe der neuen Musik zu verwalten, sondern die nach neuen Aspekten und Strategien suchen, um ihren eigenen, gegenwartsbezogenen Erfahrungen künstlerisch Ausdruck zu verleihen. „Irgendwann habe ich angefangen, die Freiheit zu vermissen, die ich mir als Komponist zeitgenössischer Musik glaubte nehmen sollen zu können“, beschreibt er die Situation am Ende seines Studiums.

Torvund will die neue Musik nicht einfach als institutionalisierte Selbstverständlichkeit hinnehmen, sondern dem Erlebnishorizont des 21. Jahrhunderts eine eigene musikalische Form verleihen. Er greift dabei ganz unterschiedliche Strategien auf, die von einer vollkommenen Technik-Zugewandtheit bis zu einer vollkommenen Natur-Zugewandtheit reichen können. „Ich habe einfach verschiedene Ansätze ausprobiert. Nicht aus Verzweiflung. Ich habe keine ‚denkbar andere Musik‘ entworfen, sondern meinen Gedanken freien Lauf gelassen.“

In den Werken der 2010er-Jahre spielt der Wald und das Musizieren im Wald eine wichtige Rolle, als Environment, als Klangmaterial, aber auch als ästhetische Instanz. Für Neon Forest Space (2010), Forest Construction (2012) und Falling Constellations (2012) nahm Torvund im Wald improvisierende Musiker auf. Die Natur erfüllt dabei eine Vorbild- und eine Lehrerfunktion, ist aber auch eine Projektionsfläche für die Sehnsucht nach Reinheit und Unschuld. Schon in Wolfstudies (2006) waren Aufnahmen heulender Wölfe in ihrer Doppeldeutigkeit als unberührter Tierlaut und abgeschmacktes Klischee zu hören. Torvund benennt mit solchen Werken den Bruch zwischen dem ursprünglichen und unvermittelten Bedürfnis, sich musikalisch zur Welt zu verhalten, und den ausdifferenzierten Techniken der Avantgarde. Auch die Unterrichtssituation, die im Mittelpunkt seines Konzertambientes Bandrom (2003-2009) steht, legt den Widerspruch zwischen der oralen Kultur der Volksmusik und die auf Schriftlichkeit angewiesene Komplexität der Avantgarde offen, indem sowohl norwegische Volksmusik als auch moderne Werke einem Lernprozess unterworfen werden, der auf vor- und nachspielen und nicht auf Noten basiert.

Mit solchen Szenarien verweist Torvund auch auf seine eigene Geschichte als E-Gitarrist in Rock- und Improvisationsgruppen, einen Teil seiner Biografie, den der Komponist, der in Oslo und Berlin studierte, stets hervorhebt – in vom Hardcore inspirierten Stück Power Art (2002) oder dem mit Versatzstücken aus Pop, Barock und Freejazz spieldenden Zyklus Album (2004). Auch schlägt sich Torvunds technische Sozialisation gelegentlich in den Werken nieder, in Stücken mit Overhead-Projektor (A Lecture about ornaments, 2004), in nerv-sägenden elektronischen Zuspielungen (Krull quest, 2004) oder den glamourösen Presets antiquierter Drumcomputer in Album. Auch diese Nähe zu Computerspielen und 8-Bit-Ästhetiken ist eine Öffnung der Avantgarde hin zu anderen Bereichen unseres Lebens, die von der neuen Musik bislang kaum berührt wurden, und denen sich zu widmen Teil der von Torvund gewählten künstlerischen Freiheit ist.

Text: Björn Gottstein

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