Kolumbien, Literatur, 2006

Héctor
Abad

Héctor Abad wurde 1958 in Medellín, Kolumbien, geboren. Er studierte Publizistik an der Universität von Antioquía sowie Sprachen und Moderne Literatur an der Universität von Turin, arbeitete als Dozent für Spanisch an der Universität in Verona und hat unter anderem Werke von Lampedusa und Eco übersetzt. Derzeit arbeitet er als Redakteure für die von Gabriel García Márquez herausgegebene Zeitschrift Cambio.

„Niemand kennt die Rezeptur des Glücks“ – so leitet Héctor Abad sein „Tratado de culinaria para mujeres tristes“ (1999; Kulinarisches Traktat für traurige Frauen, 2001), ein Traktat über die Traurigkeit, die Liebe und das Leben ein, ein heiter-melancholisches, leichtes Buch voller geheimnisvoller, magischer Rezepte, in dem er in unermüdlichen Ratschlägen den zahllosen Variationen des Unglücks zu Leibe rückt, denen die Frauen dieser Welt ausgesetzt sind, wie z. B. Alter, Schwiegermütter, Schwangerschaft oder die Seitensprünge der Ehemänner. Für alle Lebenslagen hält er ein Rezept parat, dessen Grundzutaten in der Einsicht bestehen, dass Traurigkeit und Sinnenfreude, Überfülle und Askese, Bizarres und Schlichtes zusammengehören und nur im unauflösbaren Miteinander ihrer widersprüchlichen Substanzen das Leben sich in seiner vollkommenen Schönheit entfalten kann. Dazu gehört für Héctor Abad zuallererst, die Traurigkeit anzunehmen, sie zu hegen und zu leben, ist sie doch von ebenso flüchtiger Wonne wie die Lust und das Glück: „Ich kann dir nur raten, genieße dein Leiden, leide, soviel du kannst, bis du spürst, dass soviel Leid nicht mehr in deinen Körper passt. Spar nicht mit Tränen, bade so intensiv im Schmerz wie vorher in der Lust. Denn es gibt eine unabwendbare Regel, die dich, wenn du sie jetzt hörst, noch trauriger stimmen wird: mit der Zeit wirst du nicht mehr so leiden; du wirst leiden wollen wie vorher, und es wird dir nicht mehr gelingen.“

Essen regt nicht nur an, es tröstet auch und hilft, einen Schmerz richtig auszukosten. Lebensweisheit, Menschenkenntnis und kulinarische Empfehlungen sind bei Héctor Abad untrennbar miteinander verbunden. Einen Tee aus achtundzwanzig frischen Melissenblättern empfiehlt er für „Nachmittage mit anhaltendem Nieselregen, wenn der Geliebte weit fort ist und die Last seiner Abwesenheit dich erdrückt“, eine „Lösung aus zwei Prisen Salz auf einen Liter abgekochtes Wasser“ zum Ausspülen der Augen, damit sie einen strahlenden Glanz bekommen, oder „Hähnchen à la cocotte“ für jenen anziehenden Gast, der ein heimliches Feuer in der Phantasie einer verheirateten Frau entfacht hat. Denn „es wird der Tag kommen, an dem dein friedliches, annehmliches Eheleben für kurze Zeit zwischen zwei Gedankenstrichen landet. Jemand wird kommen, dem du ein paar Tage lang mehr Aufmerksamkeit und Gedanken widmest als deinem Angetrauten. Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen, es ist eine vorübergehende Gefühlsaufwallung, die das Schicksal dir als Freudenfest zugedacht hat.“ So durchzieht Héctor Abads Brevier zugleich ein Strom von Lebensweisheit, von Wissen um alles Menschliche – und eine hingebungsvolle Liebeserklärung an das Leben.

Kulinarisches Traktat für traurige Frauen.
Übersetzt von Sabine Giersberg. Wagenbach, Berlin 2001

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