Kolumbien, Bildende Künste, 2024, in Berlin

María José
Arjona

Die performative Praxis von María José Arjona verortet den Körper als einen Schauplatz für Veränderung, Widerstand und politische Möglichkeiten. Ihr Werk bewegt sich übergangslos zwischen Skulptur, Zeichnung, Video, Sounds, Installation und direkter Aktion innerhalb eines weiten Verständnisses von sinnlicher Verkörperung, das auf Vorstellungen von Animalität und Dinglichkeit hinweist. 

Arjona wurde in Kolumbien während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs geboren und wurde anfänglich für Langzeitperformances bekannt, die von ihrer Ausbildung in zeitgenössischem Tanz beeinflusst waren. Akte tiefer Stille und lautloser Atmung lösten Anspannungsgefühle und Ängste bei den Zuschauenden aus: Sie machten die feinen Grenzen zwischen Sozialität und Gewalt sichtbar – mittels einer perfektionierten Schwebe, die bis kurz vor dem Kipppunkt, vor dem Zerbrechen, gehalten wurde. Andere Arbeiten verbinden diese Untersuchung von physischer und kollektiver Verletzlichkeit mit Arjonas anhaltender Beschäftigung mit dem Tierischen. Sie beobachtet und verkörpert die rhythmischen Bewegungen von Wölfen, Robben und Falken im Bemühen, Arten des Seins und des Miteinanderseins jenseits des Menschlichen zu untersuchen.  

Diese Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch und Objekt sowie der Wesenheit von Dingen (und wie sie sich in Prozessen und Ereignissen ausdrücken) wird in Arjonas Werk durch ihr Verhältnis zu den verschiedenen Naturwelten Kolumbiens erkundet. Ihre frühe Kindheit verbrachte sie im Wald: eine besondere Erfahrung, zu der sie auf der Suche nach alternativen Wissensstrukturen und -vorstellungen immer wieder zurückkehrt. In Zusammenarbeit mit der Biologin Brigitte Baptiste und einer Gruppe von Nukak-Frauen in der Gemeinde San Jose del Guaviare, von denen viele durch die massive Abholzung des Waldes in der Region vertrieben wurden, half Arjona, im Mai 2019 eine Kiste mit den Überbleibseln des Waldes zu einer Fernsehdebatte mit dem kolumbianischen Präsidenten zu bringen. Die Provokation begann mit der Frage: Was sollen wir mit der Asche des Amazonas machen? Mit derselben Gruppe von Mitstreiterinnen tätowierte sich Arjona die Koordinaten eines neu gepflanzten Baumes auf ihren Körper, wodurch sie das Erinnern an die Abholzung sowie die ersehnte Wiedergeburt auf ihrer Haut dokumentierte.  

Derlei Fragen der Dokumentation, der Indexikalität – eine Konstante in Arjonas Praxis – zeigen sich zunehmend in der Beschäftigung mit dem Archiv, das sie nicht als Sammlungspraxis betrachtet, sondern als expansiven Mechanismus, der die Fähigkeit besitzt, zukünftige Potenziale hervorzubringen. In den letzten Jahren hat sich Arjona ebenfalls dem Mentoring und der Pädagogik gewidmet. Sei es die Arbeit mit Studierenden in einem einjährigen Kreativlabor oder mit NachwuchsperformerInnen in Museumsausstellungen – sie versucht, das, was der Arbeit innewohnt, weiterzugeben, indem sie die Offenheit für andere Körper, Identitäten, Perspektiven und die dadurch entstehenden politischen Dringlichkeiten in den Vordergrund stellt. Welches Wissen kann durch Performance hervorgebracht werden und wie kann es in die Welt eintreten oder in ihr verbleiben?  

In Berlin wird sich Arjona mit einer Art animalistischem Ansatz des Archivierens beschäftigen. Mit den Worten der Künstlerin: Die Herausforderung besteht darin, den Geist empfangen zu können, der jene Asche wiederbelebt, um sich dann selbst wiederbeleben zu können. 

Text: Jennifer Burris 
Übersetzung: Anna Jäger

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