Agustín
Genoud
So hybrid unsere Gegenwart, so vielschichtig auch die Arbeit(en) von Agustín Genoud. Als Composer-Performer und künstlerisch Forschender verbindet er seine Studienabschlüsse in Medienkunst einerseits und Informatik/AI andererseits zu einer diskursreichen artistic research, die Sound in Szene setzt – acoustic research also: Stimme und Klang, Materialität und Sinnlichkeit, Sprache und Noise versteht er als Spielfelder und Methode, um Musik und Menschen ,queerzudenken‘.
1984 in Argentinien geboren, ist Genoud in einer analogen Welt aufgewachsen, aber sozialisiert mit digitalen Devices, Musikvideos und Videogames. Er (inter)agiert an der Schnittstelle einer neuen medienästhetischen Ordnung, die Realität und Virtualität, Pop und Kunst, Körper und Technologie hybrid verschmelzen lässt. Seine Performances und Workshops verknüpfen Mensch und Maschine und inszenieren diese Verbindung als posthuman(istisch)e Audio-Visionen. Immer ausgehend vom Körper und dessen allzu menschlicher Stimme erzeugt er mittels Live-Elektronik multiple vokale Polyphonien und erweitert so die körperliche Sphäre materialistisch: The Extensions of Man – nicht von ungefähr werden Medien als Prothesen der Sinne beschrieben.
Als Forschender geht Genoud systematisch zu Werk: So legt er einerseits Karten an, um die physischen Prozesse vokaler Lautgebung zu verstehen; andererseits entwickelt er spezielle Software, mit der er die Daten wieder in Klang überführen kann. Als Künstler macht er sich daran, die Ergebnisse seiner Forschung ästhetisch zu de- und re-konstruieren. Das Klangergebnis seiner acoustic research sind „audiovisuelle Begegnungen abseits aller Genres“. Denn auch Genoud bewegt sich zwischen den Sparten: Ihn interessieren Tango und Pop ebenso wie Techno, Neue Musik und die queeren Aspekte der barocken Oper – und konkret die „populären Aspekte fremdartiger Musik“ und vice versa die „fremdartigen Aspekte populärer Musik“.
Genoud geht es darum, Widersprüche zu versöhnen: das Körperliche und das Synthetische, das Reale und das Virtuelle, das Psychedelische und das Politische, das Menschliche und das Nonhumane. Er will „akustische Bilder“ erzeugen, die Un_verwandtes verwandt machen und „vokale Aspekte der Otherness“ erzeugen. Dazu inszeniert er die Stimmen von Menschen, Robotern und Tieren jenseits essenzialistischer und naturalisierter Weltwahrnehmungen, lotet Körperwissen aus und stattet den interspeziären Chor der Stimmen mit Handlungsmacht aus: „exile the voice“.
Dabei geht Genoud kollaborativ und inklusiv zu Werk, indem er das eigene Schöpfertum zugunsten kollektiver Erfahrungen und Prozesse zurückstellt; sein Ziel ist es, „neue Resonanz-Beziehungen auszuloten“. Hier klingt Donna Haraways Konzept des kinship an, die Verwandtmachung der Spezies – die er auch auf Ebene seiner Cyborg-Stimmen reflektiert. Ebenso schwingen auf diskursiver Ebene die „Kannibalischen Metaphysiken“ von Eduardo Viveiros de Castros post-strukturaler Anthropologie mit – dessen Dekolonisierung des Denkens Genoud ins Musikmachen überträgt.
Wenn Genoud seine Arbeit im Feld des Posthumanismus verortet, geht es ihm nicht (allein) um technische Erweiterung im Sinne des transhumanistischen enhancements; vielmehr hinterfragt er die Rolle des Menschseins in einer „Ära der Veränderungen“ und entwirft Audio-Visionen einer nonbinären Zukunftsmusik, die Dichotomien hybrid unterläuft und Resonanzen zwischen Menschen und nonhumanen Entitäten hörbar macht.
Text: Anna Schürmer