USA, Musik & Klang, 2024, in Berlin

Susie
Ibarra

Photo: Diana Pfammatter

Jeder Versuch eines Porträts der Komponistin, Perkussionistin und Klangkünstlerin Susie Ibarra nimmt unweigerlich die Gestalt eines changierenden Mandalas an. Die Betrachtung eines Aspekts ihres umfangreichen Werks führt, über verschiedene Disziplinen hinweg, zu anderen musikalischen Pfaden – vom Studio auf die Bühne, vom Feld über das Klassenzimmer in die Kunstgalerie. Wo also mit diesem knappen Portrait anfangen? Mit einem Traum vielleicht: Als Kind träumte Susie, sie sei ein Fisch. Könnte das der Grund dafür sein, dass sich Wasser im Mittelpunkt ihres Mandalas findet? In einer mit der Geografin Michelle Koppes entstandenen Klangkunst-Installation lässt sie das Schmelzwasser der Gletscher und Flüsse aus dem Grönländischen Eisschild und dem Himalaya-Gebirge ertönen.

In ihrem neuen Buch Rhythm in Nature erzählt Ibarra ihre an Orten orientierte Biografie über die Beziehung zu Gewässern: „Ich wurde in der Nähe des nordamerikanischen Pazifiks geboren, verbrachte meine Kindheit am Golf von Mexiko und zog dann an den nordamerikanischen Atlantik. Als Erwachsene verbrachte ich ein Jahrzehnt in der Heimat meiner Eltern am philippinischen Pazifik, am Südchinesischen Meer, an der Sulu- und der Celebessee. Später zog ich an Flüssen entlang ins Landesinnere – vom Hudson und Wallkill im Nordosten der USA in New York State zum Rhein und Neckar in Süddeutschland und an die Spree im Norden, unterhalb der Ostsee, wo ich derzeit lebe.“

Zwischen all diesen Ozeanen und Flüssen lässt sich auch ihr musikalisches Leben nachvollziehen. Zum ersten Mal sah ich Ibarra in den späten 1990er Jahren mit William Parker und anderen im New Yorker Free-Jazz-Club Tonic spielen (Ibarra: „Wahre ‚Freiheit‘ kannst nur durch Disziplin erlangen“). Und Wasser fließt reichlich durch ihre über vierzig Alben, angefangen mit dem Parker & Little Huey-Album von 1995 bis zu Insectum, ihrer jüngsten, 2024 erschienenen Platte, einer Zusammenarbeit mit verschiedenen Gliederfüßlern, InsektenforscherInnen sowie den Musikern Graham Reynolds und Jeffrey Zeigler. Eine Aufzählung der MusikerInnen, mit denen sie Aufnahmen eingespielt hat, liest sich wie das Who’s Who der zeitgenössischen New Yorker Avantgarde-Musik-Szene und enthält eine beeindruckende Anzahl hochkarätiger Alben wie The Multiplication Table von Matthew Shipp; Godspelized von David Ware; ihre eigene Songbird Suite und Folkloriko mit Craig Taborn, Jennifer Choi, und einem Gastauftritt von Wadada Leo Smith; Entomological Reflections mit Sylvie Courvoisier und Ikue Mori als Trio Mephista; Perception und Walking on Water mit ihrem Sextett Dreamtime Ensemble; Talking Gong von ihrem derzeitigen Ensemble mit Claire Chase und Alex Peh; und ihr demnächst erscheinendes Album mit Daniel Doña und dem Arneis String Quartet, auf dem sie ihr Stück Parallels and Confluence einspielen – ein Klavierquintett, das als Liebeslied komponiert wurde, als Kundiman über zwei Flüsse auf den Philippinen.

Ibarras Werk hat sich um verschiedene Aspekte des Zuhörens und der Zusammenarbeit erweitert: eine eingehende Auseinandersetzung mit, so Sala Elise Patterson, „physischer Bewegung, unserer Wirkung auf die natürliche Umgebung, der Energie von architektonischen Räumen und Städten sowie dem kulturellen und rituellen Gedächtnis einer Gemeinschaft“. Sie hat Feld- und Filmaufnahmen der Maguindanaon-Kulingtan-Musik auf Mindanao (Philippinen) und der traditionellen MusikerInnen des Draa-Tals (Marokko) gemacht. Ihre jüngste Komposition, Sky Islands, ist von den Bergregenwäldern auf Luzon inspiriert und wird in der Asia Society uraufgeführt, wo sie auch Floating Gardens kreiert, eine Klangskulptur, die Unterwassergeräusche aus einem Teich mit Gong-Elementen und Live-Sounds von den Philippinen kombiniert.

Von 2012 bis 2020 lehrte Ibarra am Musikinstitut des Bennington College, wo ihr früherer Lehrer, Milford Graves, neununddreißig Jahre lang unterrichtete. Von der Queen Elizabeth Hall bis zur Carnegie Hall ist sie weltweit aufgetreten – darunter auch zweimal bei Olympischen Sommerspielen. Darüber hinaus spielte sie in zahlreichen Museen, so wie erst kürzlich im Dia:Beacon, wo wir die gemeinsam komponierte Poesie- und Klangpartitur In Light of Water, Birds Take Flight unter aktivem Einbezug eines Mitmachorchesters aufführten. Ibarra hat Apps für Klangspaziergänge durch die Medina von Fès, durch New York City, Pittsburgh und Harvard entwickelt; sie hat Stücke für achtzig PerkussionistInnen und einhundertfünfzig Mandoline-SpielerInnen komponiert. Zu ihren besonderen Auszeichnungen und Ehrungen gehören das TED Senior Fellowship, das Foundation for Contemporary Arts Fellowship im Jahr 2022 sowie der 2024 von der Academy of Arts and Letters verliehene Charles Ives Award für Komposition. Was Thomas Cooper in seinem Buch Natural Rhythms über die Filme von Robert Gardner schrieb, trifft auch auf Ibarras Musik zu, die eintaucht in „jahreszeitliche Rhythmen, naturgegebene Zyklen und indigene Muster“.

Text: Jeffrey Yang
Übersetzung: Anna Jäger

Vergangen

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