Stanley
Brouwn
Stanley Brouwn (geb. 1935 in Paramaribo, Surinam; gest. 2017 in Amsterdam) zog 1957 in die Niederlande und wirkte als streng konzeptuell arbeitender Aktionskünstler in den 1960er Jahren mit internationalen Fluxus-VertreterInnen zusammen. Ab 1960 entstand die heute fast legendäre Serie This Way Brouwn, bestehend aus Skizzen von Wegbeschreibungen, die ihm Passanten auf der Straße aufgezeichnet hatten, und die er dann mit einem Stempel versah. Bereits Jahre vor seinem Aufenthalt als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD 1972 trat Brouwn als Künstler in Berlin in Erscheinung – am 27. Oktober 1964 bestritt er die erste Soiree in der gerade erst gegründeten Avantgardegalerie von René Block. Den enigmatischen Künstler bekamen BesucherInnen an jenem Abend jedoch nicht zu sehen. Er war – weder der Sprache noch des Ortes kundig – mit Walkie-Talkie ausgerüstet im Berliner Stadtraum unterwegs und fragte sich nach der Galerie in Schöneberg durch. Die Spur des Weges, die er als „Zeichenstift“ hinterließ, war das immaterielle Ergebnis der Aktion. 1969 fanden unter dem Titel This Way Brouwn weitere „Aktionen in der Stadt“ statt, deren Weg-Zeichnungen 1969 und 1970 in Einzelausstellungen in der Galerie René Block zu sehen waren.
In Brouwns aufs Äußerste reduzierten Texten, Zahlenwerken und metrischen Objekten geht es um Verortungen im Raum, um Entfernungen von hier nach dort, um den Widerspruch zwischen verbindlichem Grund-Maß und individuellem Eigen-Maß. Dabei wird nichts dokumentiert oder erzählt: Brouwn übersetzt die zugrunde liegende oder auch nur denkbare Erfahrung in eine kryptisch minimalistische Formen- und Zeichensprache. Fotografische Abbildung seiner performativen oder installierten Arbeiten sowie biografische Angaben zu seiner Person hat er stets vermieden. Seine Ausstellungen sollten ausschließlich physisch erlebt werden und nach ihrer Laufzeit undokumentiert verschwinden, auch er selbst ließ sich nicht fotografieren. In Kunst und Leben verweigerte Brouwn die Repräsentation zugunsten größtmöglicher Gegenwärtigkeit. Die am Individuum formalisierte Bewegung wurde zum universellen Material seiner künstlerischen Tätigkeit, die sich insbesondere in Künstlerbüchern niederschlug – darin fielen für ihn Aktualität und mediale Dokumentation des Werks zusammen. 1970 erschien sein erstes Buch 100 this-way-brouwn-problems for computer I.B.M. 360 model 95, indem einem Computer Fragen gestellt wurden, die mit dem Befehl begannen „show Brouwn the way in all cities, villages, etc. on earth from point x to all other points in that cities, villages etc.“ – eine Aufgabe, die selbst für einen Computer zu komplex war und die die schier unendlichen Variationsmöglichkeiten des Langzeitprojekts This Way Brouwn aufzeigt. Alles kreist dabei ums „Gehen des Menschen auf dem Planeten Erde“, wobei dem scheinbar spröden, zurückgenommenen Werk ein universalistischer Gedanke zugrunde liegt, der stets das Kontinuum im Fokus hat.
1972, im Jahr seines DAAD-Stipendiums nahm Brouwn in der Abteilung „Individuelle Mythologien“ an der von Harald Szeemann kuratierten documenta 5 teil, später an der documenta 6, 7 und 11. Das Neue Museum Weserburg in Hannover zeigte 2006 die Künstlerbücher Stanley Brouwns, und 2014 richtete ihm die Sammlung Haubrok eine umfassende Einzelausstellung in der Berliner FAHRBEREITSCHAFT aus. Seine Wege durch das alte Westberlin lassen sich vielleicht noch anhand einiger This Way Brouwn-Zeichnungen nachverfolgen.
Text: Eva Scharrer