Abdourahman
Waberi
Abdourahman Waberi wurde 1965 in Dschibuti geboren. 1985 ging er zum Studium nach Frankreich und promovierte mit einer Arbeit über die Poetik des Raums und der Politik in den Texten von Nuruddhin Farah. Seit 1994 lebt er als Englischlehrer in Caen, Frankreich. Bislang veröffentlichte er sieben Bücher, darunter zwei Bände mit Kurzgeschichten, zwei Romane und einen Gedichtband – zuletzt den Roman „Transit“ (2003). Abdourahman Waberi schreibt regelmäßig für Le Monde, Libération, Le Nouvel Observateur, Le monde diplomatique und Lettre International. In den Jahren 2003 und 2004 war er Jurymitglied des Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage.
Abdourahman Waberi war zwölf Jahre alt, als Dschibuti 1977 als eines der letzten afrikanischen Länder unabhängig wurde – eine einschneidende Erfahrung, die ihn in der Folge zu einem der großen Erzähler seines Volkes hat werden lassen. Abdourahman Waberi beschreibt in seinen Kurzgeschichten den Kosmos von Dschibuti, erzählt vom Alltag in seiner Heimatstadt mit den dichtgedrängten kleinen Blech- und Holzhäusern, den Minaretten, dem struppigen, durstigen Gesträuch und den gewundenen, schmutzigen Straßen, von den Horden Verrückter, die die Stadtviertel bevölkern und ihren kleinen Tick wie ein Markenzeichen kultivieren, von egozentrischen Scharlatanen, die im Land die Politik machen, und lethargischen Männern, die tagein, tagaus auf ihrer Veranda sitzen und Kath kauen, andere wieder trinken Mate oder rauchen Wasserpfeife, er erzählt von Sandstürmen, stechender Sonne und dem Nomadenleben der Vorfahren. Von ihnen hat er auch den Gestus seines Schreibens: das Land wie ein Nomade zu durchschreiten und dabei jede einzelne Furche zu erfassen.
Abdourahman Waberi ist ein Landvermesser, der seine Geschichten aus funkelnden Kaleidoskopsteinchen zusammensetzt: modern in der Form, geschult am Schreiben von Autoren wie Nurrudin Farah, Sole Woyinka oder Derek Walcott, poetisch und ironisch im Ton – und erbarmungslos direkt, wenn es darum geht, die afrikanischen Traumata von Kolonisierung, Unabhängigkeitskampf, Bürgerkrieg, Diktatur und Hungerkatastrophen zu benennen. 1998/99 reiste Abdourahman Waberi nach Ruanda und schrieb „Moisson de crânes“ (Schädelernte), ein Buch gegen das Vergessen, weil ein Schweigen über den Mord an den Tutsi hieße, sie ein zweites Mal zu töten. Afrika, ganz gleich ob Ruanda oder Somalia, ist nichts anderes als „eine grandiose Hölle, die auch Antonin Artaud nicht verschmäht hätte: Hier und da scheißt der Himmel Ochsenblut, und die Sonne auch. Ein kahlköpfiger, vernachlässigter Mond zittert vor Hunger und Kälte. Der Kriegsgott Ogun ist zerknirscht und besiegt. (…) Das Land der Schmerzen schlottert allüberall. Geräuschlos kratzt ein Kind Erde zusammen, um erst eine, dann eine zweite Handvoll braunen Sandes zu verschlingen. Steinchen knirschen zwischen dem halben Dutzend Zähne, die hinter seinen geschlossenen Lippen tanzen. Das Kind spuckt etwas aus und schluckt den Rest hinunter. Es hustet und schläft alsbald ein. Sein Gewicht: ein hauchzarter Pinselstrich auf dem Boden. Ein Vlies aus Schatten.“
Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung:
Die Legende von der Nomadensonne.
Aus dem Französischen von Brigitte Kautz. Marino Verlag, München 1998
Zahlreiche Beiträge in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift Lettre International in der Rubrik „Korrespondenzen“