Manuel
Abramovich
Manuel Abramovich macht sich gerne unsichtbar. Der argentinische Dokumentarfilmemacher hat sich auf Beobachtungssituationen spezialisiert, in denen er zugleich distanziert und intim präsent sein kann: als wäre er gar nicht da, und doch auf eine sehr unmittelbare Weise mittendrin. 2013 hatte er mit dem Porträt einer Schönheitskönigin einen weltweiten Festivalhit: La reina ist ein Mädchen namens María Emília, genannt Memi.
Sie wird für Wettbewerbe wie dem zur „Königin der Schokolade“ präpariert. Die schwere Krone, die sie dabei tragen muss, bereitet Memi große Schmerzen, aber ihre Mutter wischt die Klage einfach beiseite: „Nimm eine Tablette.“ In dem glänzenden Gesicht des Mädchens kann man ein ausgeprägtes kulturelles Bedürfnis nach einer Gegenwelt erkennen, aber eben auch einen Widerschein der Tränen, die für den äußeren Eindruck bei der Parade geflossen sind.
Unter anderem beim Talent Campus der Berlinale hatte Manuel Abramovich an seiner Ästhetik gefeilt – bis auf eine charakteristische Ausnahme sind auch seine längeren Filme alle aus einer vergleichbaren Position gefilmt: Soldado begleitet einen jungen Mann namens Juan José González durch die Grundausbildung bei der argentinischen Armee. Abramovich filmt dabei immer wieder wie von außen auf das Exerzierfeld, ist aber zugleich mit einer hoch empfindlichen Tonaufnahme präsent. Juan José wird Trommler in der Militärkapelle, und Musik spielt in Soldado insgesamt eine wichtige Rolle. Man kann an dieser Studie eines Individuums in einer Institution sehr gut sehen, wie Manuel Abramovich sich als Dokumentarfilmer versteht: er zielt auf eine vermittelte Wahrnehmung, auf Erkenntnisprozesse, die eigener Reflexion bedürfen.
Die charakteristische Ausnahme in seinem Werk stellt der Film Solar dar: das Porträt eines jungen Mannes, der bereits als (enorm frühreifes) Kind einen Beststeller geschrieben hat. Hier ist Abramovich nicht immer persönlich präsent, sondern er übergibt Flavio eine kleine Kamera, mit der dieser seinen Alltag aufnehmen soll. Naturgemäß ergeben sich daraus unterschiedliche Sichtweisen, und ein spannender Einblick in eine Grundkonstellation dokumentarischen Arbeitens: der Zugriff auf Wirklichkeit bricht sich an dieser Wirklichkeit nicht nur, wenn es sich dabei um einen anderen Menschen handelt.
In Años luz (2018) führt Abramovich seine Überlegungen zu Distanz und Involvierung auf eine höchst pointierte Weise zusammen: er konfrontiert sich höchstpersönlich mit der Spielfilmregisseurin Lucrecia Martel, die wiederum in ihren Werken einen Stil kultiviert, der als quasi-dokumentarisch gesehen werden kann. Abramovich bekommt die Genehmigung, bei den Dreharbeiten der Literaturverfilmung Zama dabei zu sein. Er stört dabei auch keineswegs die Konzentration von Martel, und wird doch immer wieder von ihr angesprochen, denn er kann sich nun einmal nicht wirklich oder vollständig unsichtbar machen.
Schließlich wiederholt sich im Grunde die Konstellation aus Solar: Lucrecia Martel würde gern bei Años luz ein Wörtchen mitreden. Doch da hat Manuel Abramovich einer Wirklichkeit, die von einem Spielfilm keineswegs grundsätzlich zu unterscheiden ist, schon wieder einen eigenen, klugen Film abgeschaut.
Text: Bert Rebhandl
2013: La reina
(Kurzdokumenation)
2014: Las luces
(Kurzdokumenation, Co-Regisseur: Juan Renau)
2016: Solar
(Dokumentarfilm )
2017: Soldado
(Dokumentarfilm)
2017: Años luz
(Dokumentarfilm)
2019: Blue Boy
(Kurzdokumenation)