USA, Musik, 1990

Alvin
Lucier

Alvin Lucier, Parochialkirche 1999, Photo: Michael Schrödter

Alvin Lucier zählt seit den 1970er Jahren zu den zentralen Figuren der US-amerikanischen Musik-Avantgarde. Im Kern seiner künstlerischen Auseinandersetzung stehen das Eigenleben auditiver Prozesse und ihre jeweils situierte Wahrnehmungsreflexion. In seinen Arbeiten entwickelt der Komponist und Klangkünstler einen Fokus auf die Subtilitäten des Hörbaren. Dabei eröffnet Lucier mit vermeintlich „sekundären“ Klangveränderungen wie Interferenzen und Schwebungen eine einzigartige musikalische Perspektive auf die Dialektik von Reduktion und Komplexität, auf Transformationen und Emergenzen.

Über seine Arbeiten schrieb der 2021 verstorbene Komponist einmal, dass sie der Alchemie naheständen, deren Absicht es sei, einfache Metalle in pures Gold zu verwandeln. Entsprechend haben seine Werke häufig den Charakter akustischer Experimentalanordnungen, wobei Lucier weniger am rein physikalischen Sachverhalt interessiert ist, sondern vielmehr an einem Setting, das die Wahrnehmbarkeit bestimmter akustischer Phänomene erprobt, ohne dass diese dabei ihren Zauber einbüßen. So etwa bei der Wandlung einer auf Tonband gesprochenen Stimme in kaskadierende Raumresonanzen in seinem bekannten Stück I am sitting in a room (1969). Im Laufe dieser musikalischen Performance wird die Sprachaufnahme immer wieder in den Raum gespielt und neu aufgenommen, bis sich das gesprochene Wort in eine Tonfolge verwandelt – jeder Aufführungsraum erhält dabei eine eigene Melodie. Im Rahmen des vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD (BKP), von der Akademie der Künste, Berlin, und vom Elektronischen Studio der TU Berlin veranstalteten Festivals Inventionen 1986 hat Lucier auch eine deutschsprachige Version dieses Stücks in Berlin produziert. Ein weiteres Beispiel sind Hirnströme, genauer Alphawellen, deren Impulse Lucier in seiner Music for Solo Performer (1965) mittels Verstärker und Transducer auf räumlich angeordnete Schlaginstrumente verteilt und so in eine gleichsam schlafwandlerisch ferngesteuerte Perkussionsmusik verwandelt. Im Rahmen seines Aufenthaltes in Berlin als BKP-Stipendiat von August 1990 bis Ende Februar 1991 führte Lucier auch dieses Stück im Berliner Centre Culturel Français auf.

Begleitend zum Festival Inventionen 1991 zeigte die daadgalerie vom 2. Februar bis zum 3. März eine Ausstellung mit Klangskulpturen Luciers. Neben dem ikonischen Music for Pure Waves, Bass Drums and Acoustic Pendulums (1980) wurde etwa auch Sound on Paper gezeigt, bestehend aus zehn gerahmten Papierbögen unterschiedlicher Textur und Oberfläche, die mit einem oder mehreren Lautsprechern versehen waren, welche die Bögen durch abgegebene Sinusschwingungen in materialabhängige Resonanz versetzten. Während des Fellowships entwickelte Lucier neue performative wie installative Arbeiten, die insbesondere Alltagsobjekte integrierten. So etwa die Performance Amplifier and Reflektor I (1990), bei der ein Wecker, ein Backblech und ein Regenschirm zur räumlichen Projektion akustischer Impulse zum Einsatz kamen. Für eine weitere in diesem Zeitraum entstandene Arbeit mit dem anspielungsreichen Titel Berlin is a Resonant City (1991) platzierte Lucier Lautsprecher, aus denen Stadtgeräusche tönten, in Berliner Abfallbehältern, die er im Treppenhaus der damaligen daadgalerie in der Kurfürstenstraße anbringen ließ.

Im Anschluss an sein BKP-Fellowship hat Lucier seine Beziehung zu Berlin mit seiner bedeutenden Musik- und Klangkunstszene aufrechterhalten. Die singuhr – hoergalerie widmete dem Komponisten 1999 ihr erstes Festival: alvin lucier – resonanzen. Als zentraler Akteur bei MaerzMusik 2017 und im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit dem Ever Present Orchestra 2018 kehrte Lucier bis ins hohe Alter oft nach Berlin zurück.

Text: Jan Thoben
Photo: Alvin Lucier, Parochialkirche 1999 / Michael Schrödter

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