Amir Hassan
Cheheltan
Amir Hassan Cheheltan, 1956 in Teheran geboren, begann mit zwölf Jahren, Geschichten zu schreiben, inspiriert von seinen Lektüren – darunter auch Klassiker der westlichen Unterhaltungsliteratur – und den gemeinsamen Kinobesuchen mit seiner Mutter. Nach dem Abschluss an einem mathematischen Gymnasium schlug er keine literarische Laufbahn ein, da „Schreiben in Iran nicht als Beruf gilt“, sondern studierte Elektrotechnik.
1976 veröffentlichte er seinen ersten Erzählband, „Ehefrau auf Zeit“ (Sigheh). 1979, kurz vor Ausbruch der Islamischen Revolution, erschien der zweite Erzählband, „Am stummen Fenster“, der Cheheltan zum Durchbruch als Schriftsteller verhalf. Die Jahre 1979-1981 verbrachte er im Ausland und beendete sein Studium in England. Seine Rückkehr nach Teheran erfolgte im Zeichen des Iran-Irak-Kriegs, Cheheltan wurde zum Wehrdienst eingezogen und an die Front geschickt. In dieser Zeit schrieb er seinen ersten Roman, „Die Klage um Qassem“, der von der Zensur ohne Angabe von Gründen verboten wurde. Der Roman durfte erst 2002 erscheinen, allerdings unter strengen Auflagen. Es sollte nicht das einzige Werk Cheheltans bleiben, dem die Druckgenehmigung vorerst versagt wurde, dennoch gelang es ihm, bis heute insgesamt sechs Romane und fünf Erzählbände zu veröffentlichen.
Als im Winter 1998 die Lage für kritische Künstler und Intellektuelle im Iran lebensgefährlich wurde, war auch Cheheltan bedroht, nicht zuletzt, weil er sich seit 1977 im Iranischen Schriftstellerverband engagiert. Im Frühjahr 1999 konnte er dank eines Stipendiums des Internationalen Schriftstellerparlaments das Land verlassen und ging für zwei Jahre mit Frau und Kind als Writer in Residence nach Certaldo, Boccacios mutmaßlichem Geburtsort in der Toskana. Dort entstand, fern seiner Heimatstadt, der Roman „Teheran, Stadt ohne Himmel“. Teheran spielt eine wichtige Rolle im Werk von Cheheltan, immer wieder porträtiert er diesen maßlos anwachsenden Moloch, an dem sich die letzten hundert Jahre der wechselvollen iranischen Geschichte in unzähligen Zeugnissen ablesen lassen. Und die Geschichte spiegelt sich ebenfalls in den Romanen und Erzählungen Cheheltans wider, der seine ungeheuren Kenntnisse und seine Imaginationskraft nutzt, um vergangene Wirklichkeiten wieder aufleben zu lassen – und um die Gegenwart seines Landes in all ihrer schmerzhaften und schillernden Komplexität zu schildern. Auch das Thema der Emigration wird von ihm eindringlich behandelt. 2001 kehrte der Autor nach Teheran zurück, allerdings ohne seine frühere Tätigkeit als beratender Ingenieur im Zentrum für Wissenschaft und Forschung wieder aufnehmen zu können. Seitdem widmet er sich voll und ganz dem Schreiben, ist auch als Drehbuchautor und Essayist aktiv. So verfasste er das Filmskript zu „Cut! Verbotene Zone“ (2004), in dem die alte Mutter eines im Iran-Irak-Krieg gefallenen „Märtyrers“ interviewt wird. Cheheltans vorletzter Roman „Die Sitten der Menschen der Revolutionsstraße“ durfte in seiner Heimat bisher nicht erscheinen, dafür wurde sein letzter Roman „Iranische Morgenröte“ 2007 für den Staatlichen Buchpreis nominiert. Als der Autor die Nominierung aufgrund des Publikationsverbots für manch andere seiner Werke ablehnen wollte, beschied ihm der zuständige Vertreter der Islamischen Republik, ein Schriftsteller verfüge nach der Veröffentlichung nicht mehr über seine Werke. Deutschen Lesern ist Cheheltan durch die scharfsichtigen und ebenso scharfzüngigen Feuilletons zur Lage im Iran bekannt, die seit 2004 in der Frankfurter Allgemeinen und in der Süddeutschen Zeitung erscheinen. 2007 nahm er gemeinsam mit Guy Helminger am Projekt des West-östlichen Diwans teil. Seit 2001 ist Cheheltan Mitglied im Vorstand des Iranischen Schriftstellerverbands, seit einigen Jahren leitet er den Literatur-Workshop der renommierten Literaturzeitschrift Karnameh in Teheran, wo er mit Frau und Sohn lebt. Er gilt als einer der wichtigsten modernen iranischen Romanciers der sogenannten dritten Generation, die zum Teil noch vor der Islamischen Revolution von 1979 zu schreiben begonnen haben. Als erster iranischer Schriftsteller hat Cheheltan Elemente der Umgangssprache in die Schriftsprache aufgenommen, „dem Volk aufs Maul geschaut“, und damit nicht nur seinem kritischen Realismus zu Lebendigkeit und Authentizität verholfen, sondern auch stellvertretend für andere Neuland erobert. Ein Verdienst, der inzwischen sogar durch die Aufnahme etlicher von ihm verwendeten Ausdrücke in ein neues Farsi-Wörterbuch gewürdigt wurde.
Amir Hassan Cheheltan erfährt in seiner Heimat Iran beides: Anerkennung und Anfechtung. Er selbst sagt, er lebe in seinem Land im Exil. Und doch braucht man nur einen seiner Texte, ob Fiktion oder Essay, zu lesen, um zu merken, wie tief dieser Schriftsteller in seiner Kultur, in seiner Stadt verwurzelt ist, wie gut er deren Geschichte kennt, wie sehr er das wuchernde Teheran liebt, das unter schwarzem Smoghimmel keine Zukunft zu verheißen vermag, aber dafür von einer grausamen Vergangenheit zeugt. Auch den Westen kennt Cheheltan gut, er hat einige Jahre dort gelebt, und kraft seiner Beobachtungsgabe, seines analytischen Verstands und seiner Empathie ist er wie kein zweiter für den Dialog der Kulturen geschaffen. Von ihm erfahren wir viel Neues, viel Überraschendes über Iran, das keinem Zeitungsbericht und keiner Fernsehnachricht zu entnehmen ist.
Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung
Seit 2004 regelmäßig Beiträge für die Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche Zeitung, aus dem Persischen von Susanne Baghestani
In Planung: Die Sitten der Menschen der Revolutionsstraße (Arbeitstitel). Roman. Aus dem Persischen von Susanne Baghestani. Erscheint voraussichtlich Herbst 2009 im P. Kirchheim Verlag, München