Andrius
Arutiunian
In seinen gleichermaßen hypnotischen, entrückten und spielerischen Arbeiten bedient sich Andrius Arutiunian eines äußerst flüchtigten Materials – Klang –, um kritische Fragen zu den Verflechtungen unserer akustischen und politischen Welten zu stellen: Wie werden diese durch Prozesse des (Ein-)Stimmens geordnet, welche Rolle spielen Musik, Klang und Zuhören bei der Enthüllung und Veränderung von Verborgenem.
Arutiunians alchemistische Praxis – die in Form von Skulpturen, Installationen, Filmen, Kompositionen, Performances und Texten Gestalt annimmt – erfuhr 2022 während der 59. Venedig Biennale internationale Aufmerksamkeit, wo der armenisch-litauische Künstler ausgewählt worden war, die Republik Armenien zu vertreten. In seiner vielbeachteten Einzelausstellung Gharīb, einer ausgedehnte Reflexion des Fremdseins, erinnerte er an die rätselhafte Figur des armenisch-griechischen Mystikers, Komponisten, spirituellen Führers – und möglicherweise Scharlatans – G. I. Gurdjieff. Dargeboten wurden drei Klanginstallationen, zwei Künstlerbücher, eine Schallplatte, rituelle Versammlungen und ein speziell hergestellter Oghi, ein in Armenien beliebter Selbstgebrannter, der die Themen des Pavillons – verändertes Bewusstsein, Rausch („so giftig wie göttlich“) und Reisen durch Zwischenzustände – aufgriff.
Die drei Klanginstallationen waren höchst bemerkenswert: Do Not Fear, Then!, ein vierstimmiges Werk in der geheimen Sprache Ruštuni, abgeleitet aus armenischen Beschwörungsformeln, die im 19. Jahrhundert in der Stadt Moks aufgezeichnet worden waren; You Do Not Remember Yourself, eine sechs Meter lange, hängende, gebogene Messingskulptur, ausgestattet mit Schallwandlern, die das Instrument in Schwingung versetzen, so dass es Resonanzen elektronisch modifizierter Stimmen übertragen kann; und Seven Common Ways of Disappearing, eine Partitur und Installation mit einem umgestimmten Flügel, der auf Gurdjieffs Vorstellungen von nicht-westlichen Formen des „Stimmens und Weltordnens“ abhebt. Das letztgenannte Werk, inzwischen als Album auf Hallow Ground veröffentlicht, beschrieb ein Kritiker als „bewusstseinsverändernde und kunstvoll faszinierende […] rätselhafte Musik, die von seltener Magie durchdrungen ist“ (boomkat).
Arutiunians vielseitige Arbeiten befassen sich mit Themen wie der Politik von künstlicher Intelligenz und Algorithmen (Synthetic Exercises und The Irresistible Powers of Silent Talking), Öl- und Stimmgewinnung (Kayīb), Fälschung und Verschwinden (A Gift That Keeps On Giving) sowie klanglichem Dissens und musikalischen Migrationen (Arizona Club). Die Arbeiten wurden an so namhaften Orten wie Le Fresnoy und Centre Pompidou (Tourcoing), CTM Festival (Berlin), M HKA (Antwerpen), documenta 14 (Kassel), FACT (Liverpool) und Rewire Festival (Den Haag) präsentiert und durch Gastaufenthalte, unter anderen am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik (Frankfurt am Main) und an der Cité internationale des arts (Paris) gefördert.
Arutiunian schreibt: „Sollen wir (ich und du) diese Welt verschwinden lassen? Dies ist kein Aufruf zur Revolution, sondern eher eine Einladung zum Tanz.“ Wir täten gut daran, dieser großzügigen Einladung Folge zu leisten, die sich, im Einklang mit seiner einzigartigen Praxis, auf andere Welten einstimmt und uns dazu anregt, dasselbe zu tun.
Text: Gascia Ouzounian
Übersetzung: Anna Jäger