Polen, Literatur, 2009

Dorota
Masłowska

Dorota Masłowska wurde 1983 im polnischen Wejherewo (Pommern) geboren und verlebte eine behütete Kindheit in der Provinz. Ihren ersten Roman „Schneeweiß und Russenrot“ (Wojna Polsko-Ruska pod flaga biało-czerwona) schrieb sie mit achtzehn, ausgerechnet in den Wochen vor der Abiturprüfung: Sie wollte nach eigener Aussage „dieser Realität entkommen, das Schreiben war wie eine Droge“. Als ihr Debüt 2002 erschien, sorgte es zunächst in Polen für Furore, um dann bald in zehn Sprachen übersetzt zu werden. Trotz erbitterter Ablehnung in konservativen Kreisen wurde die junge Autorin dafür mit dem angesehenen Passport-Preis der Zeitschrift Polityka und dem Nike-Publikumspreis ausgezeichnet.

In Deutschland erhielt sie den Jugendliteraturpreis. Neben ihrem Psychologie- und Polonistikstudium schrieb Dorota Masłowska von 2002 bis 2005 regelmäßig Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem für das Literaturmagazin Lampa, eins der wichtigsten Foren junger polnischer Literatur, und für die Gazeta Wyborcza. 2005 veröffentlichte sie ihren zweiten Roman „Die Reiherkönigin“ (Paw Krolowej). Für dieses sprachspielerische, medienkritische Bravourstück wurde ihr der Nike-Preis zugesprochen, der bedeutendste Literaturpreis Polens. Danach verfasste Dorota Masłowska ihr erstes Theaterstück, das seit November 2006 im Warschauer Teatr Rozmaitosci auf dem Spielplan steht und in Deutschland 2008 unter dem Titel „Zwei arme, polnisch sprechende Rumänen“ am Berliner Maxim Gorki Theater Premiere hatte. Zur Zeit arbeitet sie an ihrem dritten Roman. Dorota Masłowska lebt mit ihrer kleinen Tochter in Warschau.

Eine sehr junge Schriftstellerin, ein noch schmales Werk, das bereits eine enorme Bandbreite an Ausdrucksformen, eine ungeheure sprachliche Wucht aufweist – das erklärt die Faszination, die Dorota Masłowska auf ihr einheimisches und internationales Publikum ausübt. Die Inszenierung als provokativer Popstar der jungen polnischen Literatur tut sicher ein Übriges, auch wenn sie gegen den erklärten Willen der Autorin erfolgt: „Die (polnischen Medien) buchten mich auf das Ticket Popkultur. Irgendwann hatte ich das Gefühl, nur Heu in meinem Gehirn zu haben.“ Dass sie statt Heu im Gehirn einen bemerkenswert klugen Kopf hat, zeigt sich sehr schnell, wenn man Masłowskas Romane liest.

„Schneeweiß und Russenrot“ spielt in einer ostpolnischen Kleinstadt und erzählt von einigen Stunden aus dem Leben Andrzejs, genannt „der Starke“. Stunden, in denen der junge Mann von seiner Freundin verlassen wird, mit diversen neuen Frauen anbändelt, Drogen konsumiert und in ein Delirium verfällt, das mit dem Tod zu enden droht. So überschaubar die äußere Handlung ist, so intensiv und vielschichtig ist die Wahrnehmung des Starken, der sich nicht nur seinen Liebesfrust von der Seele redet – als moderne Underdog-Antwort auf den leidenden Werther – sondern auch einem allgemeinen Zorn auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im postkommunistischen Polen schnoddrig-poetischen Ausdruck verleiht. Diese besondere Wahrnehmungsfähigkeit zeichnet Erzähler und Autorin gleichermaßen aus. Und so benennt Masłowska den praktisch über Nacht in Polen eingeführten Kapitalismus als eine Hauptquelle des privaten und politischen Krisengefühls. Dagegen setzt sie als Waffe eine Sprache ein, die alles zu benennen vermag, die alle Register ziehen kann, vom dreckigen Realismus, von beißender Ironie über die O-Töne unterschiedlichster Milieus bis zur reinen Poesie.

Den Medienrummel, den die junge Autorin nach diesem bemerkenswerten Debüt am eigenen Leib erlebte, nutzte sie produktiv für ihren zweiten Roman „Die Reiherkönigin“. In kühner, virtuoser Rap-Form demontiert hier MC Dorota (Masłowska) die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie, die im heutigen Polen nach den gleichen Gesetzen funktioniert wie in der gesamten westlichen Welt. Vordergründig geht es um die aberwitzigen Marketingstrategien, die dem abgehalfterten Popstar Stan Retro zu einem Comeback verhelfen sollen, aber auch in diesem Roman wird – diesmal vom Schauplatz Warschau aus – die gesamte polnische Gesellschaft porträtiert: als gigantische Zielgruppe, als aggressiv umworbene Schar von potentiellen Konsumenten. Masłowska, noch keine dreißig Jahre alt, ist nicht zuletzt eine scharfsichtige Kritikerin moderner Zustände: „Vielleicht ist es wirklich so, dass mein Schreiben eine Form von Widerstand gegen die Verflachung der Welt, gegen die Manipulation unseres Denkens ist … Ich schreibe wirklich mit einem heiligen Zorn. Ich zertrümmere die Sprache in ihre Bestandteile, um sie neu zusammenzusetzen und zu sehen, was daraus wird.“ Und so erwarten wir gespannt Masłowskas nächsten Streich.

Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung:

Schneeweiß und Russenrot. Roman. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004

Die Reiherkönigin. Ein Rap. Autorisierte Übersetzung aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Kiepenheuer & Witsch, 2007

Zwei arme, polnisch sprechende Rumänen. Deutsch von Olaf Kühl. Rowohlt Theater Verlag, 2008

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