Dorothea Rosa
Herliany
Indonesien – der größte Inselstaat der Welt mit über dreihundert verschiedenen Ethnien und einer fast ebenso großen Zahl regionaler Sprachen und Dialekte – bietet zwar eine beeindruckend vielfältige und beeindruckend alt überlieferte Literatur. Doch diese gilt im Westen noch immer als terra incognita.
Auch der Name der 1963 in Zentraljava geborenen Schriftstellerin und Lyrikerin Dorothea Rosa Herliany (sie gehört als Katholikin zur christlichen Minderheit, die im vorwiegend muslimisch geprägten Indonesien rund 9% der Bevölkerung darstellt) ist im deutschsprachigen Raum bis dato einer eher nur kleinen Zahl von Kennern der indonesischen Gegenwartspoesie ein Begriff: 2009 erschien unter dem Titel „Schenk mir alles, was die Männer nicht besitzen“ eine erste kleine Auswahl ihrer Gedichte in deutscher Sprache, im gleichen Jahr hielt sie sich als Stipendiatin im Heinrich-Böll-Haus auf. Auf den Bühnen der internationalen Literaturfestivals war sie dagegen schon zu diesem Zeitpunkt ein oft und gern gesehener Gast. Mit Herliany hört man nämlich nicht nur eine der wenigen weiblichen Stimmen indonesischer Gegenwartslyrik. Sie ist zugleich auch die derzeit wichtigste und ungewöhnlichste Schriftstellerin ihrer Generation – der sogenannten „zweiten Generation“ indonesischer Schriftsteller. Diese wuchs in einem postkolonialen Indonesien heran – 1945 hatte die drittgrößte Demokratie der Welt die Unabhängigkeit von den Niederlanden erlangt. Herlianys Generation hatte also weder die koloniale Unterdrückung seitens der Niederländer noch den kämpferischen Furor der Gründergeneration erlebt; für sie war es selbstverständlich, indonesisch zu sein und sich in der indonesischen Sprache auszudrücken. Herliany, die bereits mit sechzehn Jahren zu schreiben begann, sorgte auf der Bühne der indonesischen Literatur gleich mit ihrem ersten, 1987 veröffentlichten Gedichtband „Nyanyian Gaduh“ (lärmende Songs) für Furore. Denn da war plötzlich eine Frau, die ihre Stimme erhob: laut und vernehmlich, in einer Gesellschaft, in der Frauen als untergeordnet gelten und zu schweigen haben – und die Dinge aussprach, über die man in ihrer Herkunftsgesellschaft eigentlich nicht spricht: über die Sexualität, über den Körper der Frau, über Gewalt gegen Frauen, über gesellschaftliche und soziale Ungleichheit, über politischen Machtmissbrauch. Sprich: Herliany stellt als Poetin alle Regeln auf den Kopf, die gemäß der patriarchalischen Geschlechtervorstellung und der religiös codierten Gesellschaft ihrer Herkunftskultur für sie als Frau gelten müssten. Doch in ihrer Poesie ist die Frau nicht die Unterworfene, das Objekt männlicher Begierde – bei ihr wird die Frau zur Jägerin, die sich nun ihrerseits den Mann untertan macht: „nicht um treu zu sein, wurd ich dein Weib/ich nehme mir das Recht, auf jedem Schlachtfeld/meinen Kampf zu führen. Truppen/ von wilden Tieren führ ich an/die stets darauf versessen sind/dich auf dem Esstisch gierig zu betrachten./doch jetzt umarm ich dich/bevor ich meinen heißen Hunger stillen werde!“, heißt es in dem Gedicht „Aus dem Tagebuch einer Ehe“ (Übersetzung: Berthold Damshäuser). In „Sitas Elegie“ beispielsweise – im Hinduismus, einer der fünf offiziell in Indonesien praktizierten Weltreligionen, verkörpert Sita den Inbegriff der aufopferungsvollen und keuschen Frau – verweigert diese die Gefolgschaft bis in den Tod hinein und schimpft ihren Gatten Rama, der ihre eheliche Treue einer wortwörtlichen Feuerprobe aussetzt, den „feigsten aller Männer“. Doch auch wenn Herliany ihre Gesellschaft aus weiblicher Sicht kritisch befragt und die überlieferten Geschlechterverhältnisse als veraltet anprangert, wäre es dennoch unangebracht, sie als eine im westlichen Sinne „feministische“ Autorin zu bezeichnen. Sie selbst hat diese Kategorisierung stets abgelehnt. Ihr geht es nicht um Selbstbespiegelung, sondern darum, denen eine Stimme zu verleihen, die sich oftmals kein Gehör verschaffen können. Zwar spricht sie „kämpferisch“ mit der Stimme von Frauen – erhebt aber letztlich die Frage nach einer egalitären Gesellschaft jenseits jeglicher Dichotomien und damit nach einem menschenwürdigen Leben in einem utopischen wortwörtlichen „no-man’s-land“. Ihre Sprache ist entsprechend schockierend direkt, aber trotz aller bewussten Provokation nie vulgär, oftmals sogar von einer subtilen und erstaunlichen Zärtlichkeit. Auch ihre politisch motivierten Gedichte, in denen Herliany sich mit den problematischen Aspekten der turbulenten und schwierigen jüngeren Geschichte Indonesiens auseinandersetzt, kommen eher auf leisen Füßen daher. Fast nie haben sie den Charakter politischer Pamphlete – man muss vielmehr den historischen Kontext der jeweiligen Situationen kennen, auf die sie eher zwischen den Zeilen Bezug nimmt. „Ein Tag im Juli“ etwa spielt auf den 27. Juli 1996 an, als General Suharto, der das Land von 1967 bis 1998 diktatorisch regierte, einen Anschlag auf die Anführerin der oppositionellen demokratischen Partei autorisierte. Herliany wurde Zeugin, wie die Miliz kurze Zeit später eine Menge friedlicher Demonstranten brutal niederschlug. „Ein Tag im November“ wiederum erzählt in einer Art Negativbelichtung von jenem Moment, in dem Suharto am 21. Mai 1998 seine Macht abgab: „a radio broadcast, morning, newspapers on the table/i heard nothing, the telefone rang/the postman came. … life moved from sunshine to shadow/from wakefulness to the world of dreams/orming boring lines of notes/pages of trash not worth keeping“ (Übersetzung: Harry Aveling) – heißt es darin. Herliany selbst betonte übrigens in einem Vortrag, den die weit gereiste Lyrikerin 2000 an der University of Western Australia hielt, den imaginären, und das heißt fiktionalen Charakter ihrer Lyrik noch dort, wo ihre Gedichte Bezug nehmen zu nachprüfbaren Fakten der real existierenden Geschichte: „The reality of a work of literature is not factual reality but a fictional form of imaginative reality. And the reality of a work of literature will always create new realities when a reader enjoys it thorugh her own worlds of experience and thought. Which is to say as well that literature is always a realm of symbols which opens itself and ourselves up to various different interpretations. The reality in my poetry is a transitory reality, which readers are free to use to create their own reality.“ (englische Übersetzung: Harry Aveling). Dieser Einladung zum Dialog sollte man folgen. Denn Herliany – die in ihrer Heimat alle wichtigen Literaturpreise erhielt – überschreitet mit ihren so bildmächtigen wie letztlich allgemeingültigen Gedichten tatsächlich Grenzen: nicht allein die ihrer Heimat, sondern auch jene zwischen den Kulturen – auf der Suche nach einer globalen condition humaine.
Text: Claudia Kramatschek
Schenk mir alles, was die Männer nicht besitzen. Bilingual und multimedial dargebotene Gegenwartslyrik einer indonesischen Autorin. Aus dem Indonesischen von Berthold Damshäuser. Illustrationen von Damtoz Andreas. Vorwort von Martin Jankowski. Umgesetzt und herausgegeben von Martina Claus-Bachmann. ulme-mini-verlag, Giessen 2009.