Endre
Tót
Endre Tót (geb. 1937 in Sümeg, Ungarn) war 1978 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (BKP). Anfang der 1960er Jahre begann er als einer der ersten in Ungarn mit informeller Malerei, kurz darauf mit Collagen im Stil der Pop Art und Minimal Art. 1968 und 1969 nahm er zusammen mit der Avantgarde-Künstlergruppe Iparterv Group, die sich dem Sozialistischen Realismus radikal verweigerte und daher von offizieller Seite verfemt war, an zwei skandalträchtigen Ausstellungen teil. Anfang der 1970er Jahre brach er endgültig mit der Malerei und wandte sich der konzeptuellen Kunst, Stamp Art und Mail Art zu. Seine frühen My Unpainted Canvases und Absent Works zählen zu den ersten rein konzeptuellen Kunstwerken aus Osteuropa und stehen exemplarisch für das grundsätzliche Interesse am Nichts und an der Leere, das essenziell in seinem Werk ist. Zu seinen seit den frühen 1970er Jahren fortgesetzten Konzepten gehören die Serien „TOTalZEROS“, „Nothing/Zer0“, „Rains“, „Gladnesses“ und „Rainproof Ideas“, die linguistische Zeichen und Schreibmaschinen-Typografie als gestalterische Mittel einer reduktionistischen Malerei sowie zur Formulierung poetisch-philosophischer Gedanken nutzen. Die „0“ die auch als „O“, als mittlerer Buchstaben seines Nachnamens, gelesen werden kann, impliziert für Tót eine Reihe philosophischer, sozialer und politischer Konnotationen. Er gehörte auch zu den Pionieren der Mail Art, insbesondere durch sein Projekt Zero Post (1974), und korrespondierte unter anderem mit Marina Abramović, John Armleder, George Brecht, Ken Friedmans, Dieter Roth, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Cosey Fanni Tutti, Genesis P-Orridge, und seinem Hund.
Nach der Einladung des BKP war es zunächst unklar, ob der Künstler das Residenzprogramm in Westberlin überhaupt würde antreten können: Sein Ausreisegesuch wurde wiederholt abgelehnt und erst nach einer Unterschriftenaktion der Galerie René Block und des Berliner Rainer Verlags sowie infolge internationalen Drucks von KünstlerkollegInnen des BKP im Juni 1978 auf den Minister der Ungarischen Volkspartei genehmigt, worauf Tót seinen Aufenthalt im Oktober antreten konnte. Am 27. und 28. März 1979 führte er im Rahmen seines Stipendiums die Aktion TOTalJOY (als Teil seiner „Gladness“-Serie) entlang des Kurfürstendamms auf, die vom BKP auf Video aufgezeichnet wurde und im April im Rahmen der Freien Berliner Kunstausstellung im Raum des BKP als visuelle Dokumentation gezeigt wurde. Im Mai 1979 zeigte die Galerie René Block Arbeiten aus der „Gladness“-Serie 1973–1979, und die Berliner Edition Herta brachte ½ Dozen Berliner Gladness Postcards (1973–1978) heraus, ein Portfolio von sechs Postkarten, auf denen Tóts Porträt in Relation zur Berliner Mauer zu sehen ist, und kurzen Texten, die meist mit „I am glad if…“ beginnen. Ebenfalls 1979 war Tót im Video-Bildschirm Teilnehmer des von Ben Vautier – ebenfalls Gast des BKP – und Mike Steiner im legendären Hotel Steiner organisierten „Hotel Room Event“.
Endre Tót nahm an etlichen Fluxus-Events teil, 1999 wurde seine Einzelausstellung Who’s Afraid of Nothing? Absent Pictures im Museum Ludwig in Köln gezeigt.
Text: Eva Scharrer