Esvin
Alarcón Lam
Der in Guatemala lebende Künstler Esvin Alarcón Lam greift in seiner Arbeit auf eine breite Palette an Medien zurück: von Malerei und Bildhauerei über Performance und Textilarbeiten bis hin zu Fotografie, Ton und Video. Seine Projekte schaffen Räume für eine so kritische wie affektive Beziehung zur Vergangenheit, als Ausgangspunkt dienen ihm Materialität einerseits und abstrakte Formen andererseits. Getragen von der Überzeugung, dass KünstlerInnen und Kunst einen öffentlichen Wirkungskreis entfalten und soziale Begegnungen in die Wege leiten sollten, gründete er 2018 die unabhängigen Kunstresidenz Pagoda Imaginaria: eine Plattform in Guatemala-Stadt, die internationalen Austausch, Forschung und Experimentierfreude fördert und KünstlerInnen einlädt, Aktionen und Aktivitäten im öffentlichen Raum zu entwickeln.
In seinen neueren Arbeiten befasst sich Alarcón Lam intensiv mit seiner chinesischen Abstammung, um die Vergangenheit aus einer queeren Perspektive neu zu beleuchten. Ausgehend von der Einwanderungsgeschichte seiner Familie befasst er sich mit der Architektur und materiellen Kultur, die Mittelamerika der chinesischen Diaspora zu verdanken hat, um verschiedene gemeinschaftsorientierte Formen des Umgangs mit Erinnerung aufzuzeigen. Die verbliebenen Nähmaschinen der familieneigenen Schneiderei, die sein Großvater, ein chinesischer Einwanderer, in den 1950er Jahren in Guatemala gründete, inspirierte einige seiner neuen Projekte, wie Ancestor Forest (2021), ein Klangstück, das sich mit der Ökonomie der Textilindustrie und den durch die Anforderungen der transnationalen Produktion hervorgerufenen Veränderungen im Herstellungsprozess auseinandersetzt.
In Gemälden, Textilarbeiten und Installationen dekonstruiert er nationale Symbole und traditionelle Identitätsvorstellungen, entwirft alternative Formen politischer Zugehörigkeit jenseits nationalstaatlicher Narrative. Provokativ erweitert der Künstler die queere visuelle Kultur, um farbintensive Embleme für ein breites Spektrum an sexuellen Erfahrungen und Gendervarianten zu skizzieren. Darüber hinaus setzt er sich mit ikonischen Darstellungen der Moderne auseinander, um sie neu zu beleuchten und zu erweitern, wie beispielsweise Homage to Square (1950) von Joseph Albers, das in Huaca Cuir (2018) übertragen wurde: eine geometrische Farbkonstruktion, die an das Regenbogensymbol der Schwulen- und Lesbenbewegung sowie an die Architektur heiliger Stätten präkolumbischer Kulturen in Südamerika erinnert.
In Guatemala, einem Land, in dem Homosexualität noch immer unter Strafe steht, markieren die Arbeiten von Alarcón Lam eine elegante Strategie, um die Existenz einer Vielzahl von queeren und nicht-normativen Körpern zu bekunden, deren Spuren für gewöhnlich getilgt werden. Dies zeigt sich auch in seinem Projekt Amarica: América Invertida (Verdrehtes Amerika, 2019), in dem der Künstler die Flaggen von 35 Ländern des amerikanischen Doppelkontinents neu interpretiert und dabei verschiedene Rosatöne verwendet, die an den Rosa Winkel erinnern, mit dem in den 1930er Jahren in deutschen Konzentrationslagern Homosexuelle gebrandmarkt wurden. Das Spielerische erscheint hier als eine Möglichkeit, Sichtbarkeit zu schaffen und ein Gemeinschaftsgefühl zu fördern, das uns helfen kann, nach wie vor nicht domestizierte Formen der Interaktion, des Überlebens und des gemeinsamen Kampfes zu entfalten. Alarcón Lams Arbeiten sind eine Einladung, sich mit bisher unverwirklichten oder unerfüllten Emotionen, Wünschen, Vorstellungen und politischen Visionen neu in Verbindung zu setzen.
Text: Miguel A. López
Übersetzung: Anna Jäger