Italien, Musik, 2015

Francesco
Filidei

Foto: Kai Bienert

Über den italienischen Komponisten und Organisten Francesco Filidei finden sich bei Wikipedia nur zwei Sätze: „Geboren 1973 in Pisa, Student von Salvatore Sciarrino und Jean Guillou. Er entwirft Musik, die den Ton verloren hat.“ Was in dieser – wissenschaftlich nicht belastbaren, aber in diesem Fall sehr aufschlussreichen – Quelle nicht steht: auch ohne Ton ist die Musik keineswegs tot.

Die einfachen Gleichungen “Leben=Ton” und “Tod=Geräusch” haben dem Komponisten ein Betätigungsfeld eröffnet, das er – unter dem Einfluss seines wichtigsten Lehrers Salvatore Sciarrino – gründlich erforscht hat. In seiner frühen Prélude et Toccata (2000) umkreist ein Pianist sein Instrument wie das Gerippe eines toten Tiers: auf der Suche nach dem physischen Zugang zu einer Klangwelt, die sich aus den Gesten des Klopfens, Schabens und Kratzens entfaltet. Die Aktionen notiert Francesco Filidei grafisch, damit sie nicht in klassischer Notation erstarren. Der Geräuschtod ist in seiner Musik nie das Ende aller Dinge, ganz im Gegenteil. Im Totentanz erweisen sich die Bewegungen als umso lebendiger und auch der Titel ist Programm: das italienische Verb toccare bedeutet “anfassen”. Körperliche Gesten bilden den Kern vieler seiner Werke. Aus ihnen entsteht auch der Werkzyklus über einen Anarchisten, der 1972 von der italienischen Polizei zu Tode geprügelt wurde. In I Funerali dell’Anarchico Serantini (2006) sitzen sechs Schlagzeuger an einem langen Tisch, als Instrumente dienen ihnen lediglich der Tisch und die eigene Körper: ein ebenso gespenstisches wie zunehmend lustvolles Begräbnisritual.
Sein Musikstudium begann Francesco Filidei in Florenz zunächst im Fach Orgel, bald auch in Komposition. Den Abschluss machte er am Pariser Conservatoire National Supérieur, worauf eine kurze Zwischenstation am Pariser Forschungszentrum Ircam folgte. Seither sucht er seinen Weg vor allem außerhalb Italiens, wo zeitgenössische Musik kaum noch eine Lebensgrundlage ermöglicht.
Francesco Filideis Idiom erinnert weder an die fragilen Klanglandschaften seines Lehrers Sciarrino, noch an die Eleganz und Tonreinheit der französischen Musik. Und auch Helmut Lachenmanns Komponieren mit Geräuschen folgt einer anderen Logik. Filideis Suche gilt den Grundbedingungen der Musik: “Warum nennt man etwas Musik? Wie entscheidet man, wann ein Ton beginnt?” Reicht es, fragt er weiter, wenn sich die Lunge weitet, wenn sich der Finger eines Musikers kaum merklich hebt? “Man kann auch eine Musik nur aus Vorbewegungen machen. Dieses ganze Spiel zwischen der Wirklichkeit und der Darstellung der Wirklichkeit, dieser Grenzbereich, ist für mich das interessanteste.”
Allerdings müssen es nicht immer menschliche Körper sein, mit deren Hilfe sich das Spiel an den Rändern zwischen Wirklichkeit und Repräsentation entfaltet. Im Mittelpunkt seines Projekts Five Organs stehen berühmte Kirchenorgeln, von denen jeweils ein Orchesterporträt entstehen soll. Das Sinfonieorchester simuliert den Klang des mechanischen Instruments, seiner spezifischen Bauweise, des Raumklangs der jeweiligen Kirche, der Musik, die dort gespielt wurde, einschließlich der eigentlich unerwünschten Nebengeräusche wie dem Klappern der Registerzüge und dem Rauschen des Gebläses. Five Organs soll die Orgel zeigen, wie sie sonst nur der Organist hört: an seinem Spieltisch zwischen den Pfeifen, unmittelbar neben der Mechanik. Das erste Werk der Reihe Fiori di Fiori wurde 2013 in Köln uraufgeführt und ist der Biagi-Orgel aus der römischen Kirche San Giovanni in Laterano gewidmet. In Five Organs fließen Francesco Fillideis Erfahrungen als Organist und Komponist zusammen, seine Begeisterung für den entseelten, durchaus auch brutalen Geräuschklang der Maschine und die unmittelbare Lebendigkeit der körperlichen Geste.

Text: Martina Seeber
Kamera/Schnitt: Uli Aumüller, Sebastian Rausch

Vergangen

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