Huma
Mulji
Huma Mulji beschreibt sich als Flaneurin, als genaue Beobachterin der Feinheiten des täglichen Stadtlebens. Mit einem ausgeprägten Gespür für deren sensorische und materielle Besonderheiten entstehen viele ihrer Arbeiten aus dem urbanen Alltag von Orten, die sie ihr Zuhause nannte: Karatschi, wo sie geboren wurde und aufgewachsen ist, und Lahore, wo sie zwei Jahrzehnte lang lebte und unterrichtete. Sie arbeitet mit verschiedenen Medien, wobei das Objekt, sowohl das gefundene als auch das selbst angefertigte, im Mittelpunkt ihres Schaffens steht.
In einer wichtigen frühen Arbeit fotografierte Mulji ein Puppenpaar „in flagranti“ an öffentlichen Plätzen in Lahore und benutzte sie als Stellvertreter, um soziale Codes von Sittlichkeit und Anstand zu hinterfragen. Im Jahr 2012 resultierte ein Ausflug in die Malerei in Trompe-l’œil-Abbildungen von Inneneinrichtungen der pakistanischen Mittelklasse, inklusive verrosteter Rohren, wasserfleckigen Wänden, freiliegenden Elektroleitungen und veralteten Schaltern und Armaturen, die alle von einem künstlichen Gecko überwacht wurden. Bei The Miraculous Lives of This and That (2013) handelt es sich um ein zeitgenössisches Kuriositätenkabinett, das mit ausgestopften Vögeln und anderen Tieren, mit Puppen, Spielzeug, antiquarischem Chirurgenbesteck, religiösen Talismanen und anderem in Lahore gesammelten Krimskrams vollgestopft ist und die gängigen kategorischen Unterscheidungen zwischen Körper und Fragment, belebt und unbelebt, Abscheu und Verlangen, heilig und profan gezielt in Frage stellt.
Your Tongue in my Mouth (2022) war Muljis erste Einzelausstellung in Großbritannien, wo sie seit 2015 lebt. Darin zeichnete sie das Nachleben eines weitgehend vergessenen Kolonialdenkmals nach: das Queen Victoria Memorial in Karatschi. 1962 wurde es abmontiert und an einen anderen Ort versetzt. In ihrer Arbeit deutete Mulji den Fußabdruck des, mittlerweile verschwundenen, Originalsockels an, indem sie eine Leerstelle aus dem verzierten Kachelboden herausschnitt. Daneben steht ein etwa lebensgroßes Foto der Marmorstatue der Königin in ihrem aktuellen Zustand im Mohatta Palace, vernachlässigt und staubbedeckt. Das Gesicht wird von üppigen Bougainvillea-Blüten verdeckt – die heimische Flora erobert sich ihr Herrschaftsgebiet zurück. In einem zweikanaligen Video dokumentiert Mulji, dass die beiden Bronzelöwen, die der Königin einst stolz zur Seite standen, heute als Requisiten für Schnappschüsse von Familien dienen, die den Zoo in Karatschi besuchen, wo sich die Löwen heute befinden. Die Überreste dieser pompösen Inszenierung von kolonialer Hybris wurden vollständig domestiziert und in das unaufhaltsame tägliche Treiben der Stadt einverleibt.
Muljis jüngste Ausstellung Aftermath (2024) markiert einen Richtungswechsel. Geprägt von einem wachsenden Interesse an Prozessen und einer Hinwendung zur Abstraktion, reflektiert sie darin ihre Erfahrungen als Immigrantin. Die Ausstellung besteht aus Skulpturen, die durch eine inszenierte Materialbegegnung zwischen geblasenem Glas und gefundenem Holz entstanden. Während das geschmolzene Glas seine Form an das starre Holz anpasst, hinterlässt die enorme Hitze an der Berührungsstelle einen Rußkranz. Diese verzerrten biomorphen Gefäße, die den Atem der Künstlerin in sich tragen, stehen stellvertretend für vertriebene Menschen, die, wie die Künstlerin selbst, dazu gezwungen sind, ihre Körper und ihr Wesen an ungewohnte und manchmal ungastliche neue Kontexte anzupassen, wobei auch sie Spuren in den Ländern, Gesellschaften und Landschaften, in denen sie leben, hinterlassen.
Text: Murtaza Vali
Übersetzung: Anna Jäger