Griechenland, Musik, 1963

Iannis
Xenakis

Iannis Xenakis (geb. 1922 in Brăila, Rumänien; gest. 2001 in Paris) zählte im frisch installierten Berliner Künstlerprogramm des DAAD (BKP) zu den ersten prominenten Alumni der Musik-Sparte. Xenakis lebte seit 1947 in Paris und kam im Oktober 1963 nach Berlin, begleitet von seinem Schüler, dem Komponisten und Pianisten Takahashi Yuji. Das BKP, in seinen Anfängen finanziell maßgeblich unterstützt von der Ford Foundation, ermöglichte auch Schülern der eingeladenen Komponisten den Aufenthalt in Berlin. Die Grundsätze des Programms fasste Moritz von Bomhard, damaliger Vertreter der Ford Foundation, in einem Brief an den Komponisten (3. März 1963) so zusammen: „ Wir möchten Künstler von internationalem Ruf zu einem Aufenthalt in Berlin einladen, wo sie beides tun können: ungestört und ohne Verpflichtungen arbeiten und gleichzeitig am intellektuellen und kulturellen Leben der Stadt nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen teilhaben. Sollten diese Künstler ihre Studenten weiter unterrichten wollen, lädt die Ford Foundation sie gerne nach Berlin ein, um ihnen ein Stipendium für die Zeit ihres Studiums zu gewähren.“

Iannis Xenakis war Mitte der 1960er Jahre bereits ein Komponist von internationalem Rang und hatte als Pionier der „Klangkomposition“ mit dem bahnbrechenden Orchesterstück Metastasis, das 1954 in Donaueschingen für Aufsehen sorgte, Musikgeschichte geschrieben. Die komplexen Massenbewegungen und ihre wechselnden klanglichen Aggregatzustände fußten auf einer wissenschaftlich-mathematischen Basis. Xenakis besaß ein Ingenieursdiplom und arbeitete von 1948 bis 1960 als Assistent von Le Corbusier; 1958 entwarf er den Philips-Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung. Xenakis’ Kompositionen waren strukturell fundamental beeinflusst von Erkenntnissen und Verfahren der Mathematik, insbesondere der Stochastik und der Spieltheorie: „Das wissenschaftliche Denken gibt mir ein Instrument an die Hand, mit dem ich meine Vorstellungen nicht-wissenschaftlichen Ursprungs verwirkliche.“ In Berlin hielt Xenakis am 3. Juni 1964, unterstützt von Takahashi, im Amerika Haus einen Vortrag zum Thema „Mathematical Formulation of Musical Composition“. Gleichzeitig erprobte er die Möglichkeiten der elektronischen Musik und forschte früh zu computergesteuerten Kompositionsprozessen. Xenakis strebte während seines Aufenthaltes eine enge Zusammenarbeit mit dem elektronischen Studio der TU Berlin an.

In Berlin schrieb Xenakis ein zentrales Stück seines Werkkataloges: Eonta für Klavier, zwei Trompeten und drei Posaunen (1963/64). Es offenbart besonders signifikant eine charakteristische Verschmelzung von Mythos und Wissenschaft/Technik, von unmittelbar existenzieller Klangwirkung und mathematischer Konstruktion – Xenakis’ bis dahin längste Komposition. Das Stück versteht sich als Hommage an den griechischen Philosophen Parmenides und macht Gebrauch von Verfahren der Wahrscheinlichkeitstheorie und logischen Prozeduren der „Set Theory“ (Mengenlehre). Einige Klangprozesse, insbesondere im Klavier, wurden mit einem der damals leistungsstärksten Computer, dem IBM 7090 hergestellt. Ein in seiner Sprunghaftigkeit und Tonfülle fast unspielbarer Klavierpart trifft auf irisierende Flächen des Bläserensembles; dramatische Kontraste beinhalten teils theatrale Aktionen der MusikerInnen. Weniger erfolgreich verlief in Berlin der interpretatorische Umgang mit Xenakis’ Musik: Eine geplante Aufführung des Orchesterstücks Pithoprakta (1957) durch die Berliner Philharmoniker am 21. Juni 1964 wurde wenige Tage vorher zum spürbaren Ärger des Komponisten wegen angeblicher „Unspielbarkeit“ und „Gefahr für die Instrumente“ abgesetzt.

Text: Dirk Wieschollek

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