Ghana, Bildende Kunst, 2017

Ibrahim Mohammed
Mahama

Foto: Krzysztof Zielinski

Scheinbar wertloses Restmaterial verwandelt sich in monochrome städtische Denkmäler, welche auf die Krise und das Versagen des globalen Kapitalismus verweisen. Ibrahim Mahama (geb. 1987 in Tamale, Ghana) besetzt Räume und überzieht Bauten mit immensen Oberflächen aus collagierten Jutesäcken. Inbesitznahme ist das Wort, das seine künstlerischen Interventionen angesichts der zugrundeliegenden Motivation – nämlich ein System der Ausbeutung gegen sich selbst zu kehren – am besten beschreibt.

Ghana ist eins der Länder, das seit Jahrhunderten den Rest der Welt auf nicht-nachhaltige Weise mit Rohstoffen wie Kakao, Kaffee und Kohle sowie Arbeitskräften versorgt. Dies hat Spuren bei den Ghanaern, der Umwelt und der institutionellen und politischen Maschinerie des Landes hinterlassen. Mahama interveniert in die Systeme des Warenumschlags, indem er die Transportsäcke recycelt – der praktisch wertlose Rest, der zurückbleibt, wenn alle Waren weiterbewegt und verbraucht worden sind – und sie die Hände der Arbeiter, die sie entnehmen, verpacken und tragen, längst verlassen haben, wenn sie exportiert oder im Inland neu verteilt worden sind. Übrig bleiben die leeren Säcke, die Spuren menschlichen Lebens und der befahrenen erdigen Straßen sowie die Strapazierfähigkeit des Materials. Dieses wird nun Mahamas Material, das er für andere Zwecke nutzt und zusammengesetzt in monumentalem Maßstab präsentiert – ein Maßstab, der dem trotzt, was heute scheinbar allein mit menschlicher Arbeitskraft produziert werden kann.

Neben dem Thema Arbeit beschäftigt sich der Künstler mit der Funktionsweise von Institutionen und Bildungssystemen, mit der Produktion, -verteilung und -verlagerung von Wissen sowie mit kapitalistischer Ausbeutung. Er arbeitet direkt mit diesen Systemen, wenn er überlegt, wie er einen Ort, ein Grundstück oder ein Bauwerk in Besitz nimmt. Die Säcke werden von Hand zu mehreren Hundert Quadratmeter großen Tapisserien zusammengenäht von Menschen, die häufig keine Papiere besitzen und in den Lagerhäusern Ghanas oder an den anderen Orten seiner Projekte arbeiten. Im April dieses Jahres arbeitet Mahama mit einem großen Team an Freiwilligen und Aktivisten in Athen im Rahmen der documenta14. Dort bedeckt er diesmal eine horizontale Fläche, ein Teil des zentralen Syntagma-Platzes, mit Jutesäcken, die vor Ort für zusammengenäht werden. So entsteht – oder besser gesagt: entfaltet sich erneut – ein monochromes Denkmal an die düsteren Folgen des Kapitalismus, das bei genauerem Hinsehen ganz und gar nicht monochrom ist. Hier legt jeder einzelne Sack Zeugnis ab von den zurückgelegten Entfernungen, er erzählt von menschlichen Leben, Orten, Transportmitteln und Gütern, ist aber auch ein physisches Zeugnis der vorüber- und darübergehenden Menschen, die so ihre Spuren hinterlassen.
Die Entscheidung, ein bestimmtes Gebäude zu besetzen, ist immer eine politische. So hat Mahama unter anderem die Kwame Nkrumah University of Science and Technology (K.N.U.S.T.) im ghanaischen Kumasi bedeckt, an der er studiert hat (Occupation and Labour, 2014). Ebenfalls 2014 hat er in der ghanaischen Hauptstadt Accra eine Reihe von neuen und noch im Bau befindlichen Mittelklasse-Apartmenthochhäusern sowie ein neues Flughafengebäude bedeckt (Civil Aviation). Ein Projekt aus jüngerer Zeit ist die sechsmonatige Fassadenverkleidung der Kunsthal Charlottenborg in Kopenhagen. Von hier blickt man auf den ehemaligen Hafen, der einst dem Import und Export von Waren diente und der heute eine Touristenmeile ist (Nyhavn Kaplang, 2016-17).

Text: Solvej Helweg Ovesen

Vergangen

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