Irena
Vrkljan
Geboren am 21. August 1930 in Belgrad, Königreich Jugoslawien, wächst Irena Vrkljan zweisprachig auf – ihre Mutter war eine in Belgrad lebende Wienerin, ihr Vater ein Handelsvertreter aus Kroatien, und sie besuchte eine deutsch-jugoslawische Schule. Nach dem Bombardement 1941 zieht die Familie nach Zagreb, das für Irena Vrkljan bis zu ihrem Tod zumindest ein zweiter Lebensmittelpunkt bleiben wird. Denn Berlin wird sie später genauso wenig loslassen.
Bereits in den 1950er Jahren fing sie an, in Zagreb Gedichte zu veröffentlichen, und gehörte zu dem Kreis der sogenannten „Krugovaši“ um die Literaturzeitschrift Krugovi, die der Poetik des Sozialrealismus eine Absage erteilte und einen enormen Einfluss auf die Literaturentwicklung im ehemaligen Jugoslawien hatte. Schon bevor sie nach Berlin kam, übersetzte Irena Vrkljan über 20 Bücher zeitgenössischer deutscher Literatur ins Kroatische, veröffentlichte fünf eigene Gedichtbände, schrieb Szenarien für Filme, schrieb und übersetzte Hörspiele.
Mit 30 Jahren erhielt sie eine Carte Blanche, um eine Kulturserie im damals noch jungen kroatischen Fernsehen zu etablieren. Unter dem Titel „Portreti i susreti“ (dt.: Porträts und Begegnungen) realisierte sie in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Ante Viculin an die sechzig 20-minütige Episoden, für die sie auch die Drehbücher schrieb. Bildhafte Texte und eine assoziative, experimentelle Montage machten aus diesen Fernsehstücken Orts- und Lebenserkundungen, die bereits eine charakteristische Handschrift trugen.
Als Irena Vrkljan 1966 mit 36 Jahren nach Berlin kam, gehörte sie zur ersten Generation von Frauen, die in der BRD ein Filmstudium aufnehmen konnten. Neben Helke Sander und Gerda Katharina Kramer war sie eine von drei Studentinnen im ersten Jahrgang der DFFB. Das bescheidene Stipendium, das ihr die DFFB anbot, hätte nicht für den Lebensunterhalt gereicht. Erst das besser ausgestattete Stipendium des Künstlerprogramms des DAAD ermöglichte ihr das Studium in Berlin.
Schon zu Beginn des Studiums lernte Irena Vrkljan ihren späteren Lebenspartner, den Schriftsteller, Dramaturgen, Hörbuch- und Drehbuchautor Benno Meyer-Wehlack (1928-2014) kennen. Mit ihm bildete sie bis zu dessen Tod im Jahr 2014 eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die beider Werke maßgeblich prägte. Gemeinsam realisierten sie an die hundert Hörspiel-, Buch-, Film- und Fernsehprojekte, arbeiteten im deutschen und im kroatischen Sprachraum, übersetzten zwischen den Sprachen und schufen ein Werk, dessen doppelte Autorenschaft auch die jeweiligen Kultur- und Geschichtsräume vielschichtig verwebte.
Den Krieg und den Faschismus, den die 68er mit ihrer Elterngeneration identifizierten, hatte Irena Vrkljan in Belgrad und Zagreb selber erlebt. Sie wurde bewusste Zeugin äußerer und innerer Zerstörungen, die ihr Schreiben bestimmten und auch den Hintergrund für die vier an der DFFB realisierten Filme bildeten.
Irena Vrkljan hinterließ ein reiches, ästhetisch und politisch bedeutsames Werk, mit dem sich in Deutschland und (Ex-)Jugoslawien sehr unterschiedliche Rezeptionsgeschichten verbinden. Ein halbes Jahrhundert lebte sie zwischen Zagreb und Berlin, schrieb und erzählte in zwei Sprachen vom Leben zwischen diesen Welten, die nicht zusammenkamen und doch untrennbar wurden. Ihre komplexe Biografie macht sie zu einer Wegbegleiterin auf zeitgeschichtlich interessantes Terrain, nicht zuletzt in die Kontexte der Community von Exilkünstler*innen und -schriftsteller*innen im Berlin der 70er und 80er Jahre. Ihr Werk ist reich an Verweisen, Zitaten, Anekdoten und Pseudonymen, mit denen sie Anderen ihre Referenz und Achtung erweist: langjährigen Freund*innen wie dem kroatischen Maler Miljenko Stančić, dem Regisseur Ante Viculin, ihrem Berliner Freundeskreis (Claudio Lange, Klaus Hohlfeld, immer wieder Benno Meyer-Wehlack), aber auch Denker*innen und Künstler*innen, die sie prägten, wie z.B. Marina Zwetajewa, Else Lasker-Schüler und Walter Benjamin.
Nach dem Tod von Benno Meyer-Wehlack kehrte Irena Vrkljan endgültig nach Zagreb zurück, wo sie am 23. März 2021 verstarb.
Text: Borjana Gaković, Tobias Hering