Jasmina Metwaly
Philip Rizk
Seit 2010 arbeiten Jasmina Metwaly (geb. 1982 in Warschau) und Philip Rizk (geb. 1982 in Limassol, Zypern) neben ihrer individuellen Praxis als Künstler, Filmemacher und Aktivisten an gemeinsamen Kunstprojekten. Nach ihrem Kunststudium in Polen verlegte Metwaly 2009 ihren Lebensmittelpunkt nach Kairo, Rizk studierte Philosophie in Deutschland und den USA und Middle East Studies in Kairo, wo er vor allem als politischer Blogger aktiv war. Beide sind Mitbegründer des politisch-aktivistischen Medienkollektivs Mosireen. Ihre gemeinsamen Arbeiten sind meist kurze Videos, die in Fabriken, bei Demonstrationen oder Streiks in ganz Ägypten gefilmt wurden, und die das breite Spektrum sozialer und politischer Kämpfe in Ägypten seit der Revolution und dem Sturz Mubaraks 2011 dokumentieren.
Ihr besonderes Interesse gilt dabei der Situation der Arbeiter, deren Existenz von den verheerenden Auswirkungen eines von Korruption durchdrungenen Rechtsystems bedroht ist. Über lange Zeit haben Metwaly/Rizk recherchiert und Formate erprobt, um die verschiedenen Ebenen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Ägypten zu verstehen und mit künstlerischen Mitteln zu vermitteln. In jüngeren Arbeiten weicht das Dokumentarische zunehmend einer hybriden Form aus Fiktion und Realität – etwa in der Filminstallation On Trials (2015), in dem das surreal-kafkaeske Ausmaß ägyptischer Rechtsprechung von Beteiligten in kurzen theatralischen Performances dargestellt wird. Out on the Street, ihr erster gemeinsamer Film in Spielfilmlänge, erhielt erst bei den Berliner Filmfestspielen 2015, später im selben Jahr im Deutschen Pavillon der Venedig Biennale internationale Aufmerksamkeit. Out on the Street ist ein Versuch, die unmittelbaren Folgen der politischen Umbrüche in Ägypten auf die Lebens- und Arbeitssituation der Menschen in einem System, in dem alte neben neuen Hierarchien bestehen, gleichzeitig von Innen (aus der Perspektive der Betroffenen / Beteiligten) sowie von Außen (aus der Perspektive der Dokumentierenden / Inszenierenden) zu reflektieren.
Dazu hielten Metwaly/Rizk auf einem Hausdach in Kairos Arbeiterviertel Helwan zusammen mit zehn Fabrikangestellten einen Theaterworkshop ab. In dem Stück geht es um die Privatisierung einer Fabrik. Während der Proben kommen Themen wie Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz, Polizeibrutalität und erfundene Bußgelder auf, sowie unzählige Geschichten von Erniedrigung, Korruption und Ausbeutung durch kapitalistische Arbeitgeber. Der Film verbindet reale Szenen aus dem Workshop mit nachgespielten Szenen sowie mit Handy-Aufnahmen eines Arbeiters, die als Beweis vor Gericht im Kampf gegen die Abschaffung seines Arbeitsplatzes dienen sollen. Während sich Realität und Inszenierung auf verschiedenen Ebenen durchmischen, entsteht Spannung vor allem auch daraus, dass ein Großteil der Workshop-Teilnehmer die eigene Rolle samt den damit verbundenen realen Risiken verkörpern, während wenige von ihnen die Rolle des „Gegners “ – etwa des korrupten Fabrikbesitzers samt seiner Privilegien einnehmen. Durch die hybride filmische Herangehensweise soll eine kollektive Vorstellung von sozialen Konflikten weltweit geschaffen werden, die auch jenseits der spezifischen Realität Ägyptens Bestand hat.
Text: Eva Scharrer