Jean-Pierre
Bekolo
Jean-Pierre Bekolo (geboren 1966 in Yaoundé) gehört zu Kameruns bekanntesten Filmemachern und wird in der Presse häufig als „Afro-Futurist“ bezeichnet – als einer, der seinen Kontinent neu erfinden will. Der Regisseur, der in Kamerun, in Frankreich und den USA lehrt, sammelt seit Jahren international Preise ein. Seine Werke widersetzen sich hartnäckig den westlichen Erwartungen an afrikanisches Kino, indem sie die Genres mixen und Pop mit Politik verknüpfen. Mit Le Président (2013) hat er einen Film gedreht, den in Kamerun niemand zeigt. Nicht mal das Institut Français wagte eine Aufführung vor Ort. Im Berliner Kino Arsenal war er 2013 zu sehen.
Schon mit seinem Debütfilm Quartier Mozart (1992) wurde Jean-Pierre Bekolo auf dem Festival in Cannes ausgezeichnet und erhielt von Locarno bis Montréal viele weitere Preise. Sein zweiter Film Le complot d’Aristotle (1996) entstand als Auftragswerk des British Film Institute zum 100jährigen Bestehen des Kinofilms. Auch Scorsese, Godard und Bertolucci steuerten zu diesem Jubiläum Filme bei. Im Jahr 2005 feierte Jean-Pierre Bekolos Les saignantes (2005) beim Filmfestival in Toronto seine Premiere und gewann beim Pan-Afrikanischen Festival in Burkina Faso den zweiten Preis sowie die Auszeichnung für die beste Hauptdarstellerin. Bekolos Videoinstallation An African Woman in Space war 2008 im Musée du Quai Branly in Paris zu sehen. Sein Buch Africa for the Future erschien 2009 bei Editions Dagan in Paris. Unlängst stellte Jean-Pierre Bekolo das Manuskript zu Cinéma & Action en Afrique fertig. Laut der Welt ist es ein „Dokument des Zorns über die Zustände in Afrika“, aber auch „ein Dokument der Hoffnung, mithilfe des Films an diesen Zuständen etwas zu ändern“.
Die Kontroverse um Jean-Pierre Bekolos letzten Film Le Président (2013) gipfelte in der Entführung und Folterung eines jungen Filmemachers, der sich schon 2009 mit derselben Thematik beschäftigte. Denn Jean-Pierre Bekolos Film rührt an ein Tabu: Er zeigt einen Greis, der an der Macht klebt wie der reale, seit mehr als drei Jahrzehnten amtierende Präsident Kameruns, Paul Biya. In Jean-Pierre Bekolos Heimat war der Film nur einmal öffentlich zu sehen. Der Regisseur dazu: „Man muss verstehen, dass der Präsident in Kamerun der Anfang und das Ende von allem ist, der Fixpunkt der Macht, und zwar seit über 30 Jahren.“ Dass seine Fiktion mehr Ängste auslöst als die Darstellung von Fakten, hat jedoch selbst den Filmemacher überrascht: „Ich habe mir nicht klargemacht, dass ich mit meiner Parabel an eine lange afrikanische Erzähltradition rühre, in der Symbolen und Vorzeichen eine große Macht zukommt.“ Das Mockumentary erzählt vom sagenhaften Ausnahmezustand Kameruns, als kurz vor den nächsten Wahlen der betagte und allmächtige Regierungschef verschwindet. Le Président zeigt einen alten Mann, der am Ende ist. Er durchschaut nicht mehr, was um ihn herum passiert und wird von seinen Kidnappern gezwungen, sich den Fragen seiner Bürger zu stellen. Aber nicht er allein nähert sich einem Schlusspunkt, sondern mit ihm das ganze Land und damit auch Schuldzuweisungen, Verfehlungen und Trauer. Unterlegt mit treibenden Beats wechseln in Jean-Pierre Bekolos Film die Tonlagen rasant: Mal wie ein Rap-Video, dann im Pseudo-O-Ton von Fernsehsendungen. Split-Screens zerhacken die Perspektive. Ein scheinbar blinder Alter wird poetisch-surreal abgeschwenkt, dann weht wieder der reale Staub von alltäglichen Kameruner Straßenszenen durch das Bild. Schnell und humorvoll erzählt Le Président vom Untergang.
Lustvoll hebelt Jean-Pierre Bekolo in Les Saignantes (2005) die Gesetze der sogenannten Wirklichkeit aus: Der Film ist ein im Kamerun des Jares 2025 angesiedelter Science-fiction-Erotikthriller mit politischem Hintergrund. Zwei junge Frauen gewinnen darin die sexuelle Gunst der staatstragenden Elite. Doch einer der Führenden stirbt während des Geschlechtsverkehrs. Die Frauen müssen die Leiche loswerden. Die von Jean-Pierre Bekolo eingesetzten Zwischentitel und Jump-Cuts erinnern an Godard, doch auch dieser Verweis ist ein augenzwinkernder.
Als eine „balls-to-the-walls meditation on the meaning and purpose of ‘African’ film“ bezeichnet Jean-Pierre Bekolo seine BFI-Auftragsarbeit Le Complot d‘Aristotle’ (1995). Um den Film zu verstehen, muss man nach Meinung des Kritikers Michael Dembrow mindestens ebenso gut hinhören wie -schauen und dabei besonders auf das Voice-over des Regisseurs achten: „Doch während wir versuchen, alle Teile zusammenzusetzen, dreht sich der Plot um sich selbst, Szenen werden wiederholt, die Charaktere springen umher wie die Schachfiguren und Symbole, die sie darstellen.“
Ein bekanntes Volksmärchen verwandelt Jean-Pierre Bekolo in seinem Debütfilm Quartier Mozart (1992) in einen ausgelassenen Kommentar zum Umgang mit Geschlechterrollen. Das Abenteuer beginnt, als ein Schulmädchen sich von Mama Thekla in einen Mann verwandeln lässt. Jeder Mann, der später der Zauberin Thekla die Hand schüttelt, verliert seinen Penis. Mit Witz, Hip-Hop-Soundtrack und augenzwinkernder Montage erzählt Jean-Pierre Bekolo diese Geschichte geistreich, innovativ und provokant.
Text: Maike Wetzel
2013 Le Président (Spielfilm, HD Video, 72’)
2005 Les Saignantes (Spielfilm, HD Video, 92‘)
1996 Le Complot d‘Aristotle (Kurzfilm, HD Video, 72’)
1992 Quartier Mozart (Spielfilm, HD Video, 80‘)