China (VR), Bildende Kunst, 2020

Hao
Jingban

Foto: Jasper Kettner

Für Ihre bewegten Bilder und Performances bedient sich Hao Jingban einer brüchigen und verzerrenden Sprache, die für die Modernisierung Chinas bestimmend ist. Genauer gesagt beschäftigt sie sich mit den Klüften und der Vielschichtigkeit dieses politischen Projekts, das in den 1930er-Jahren begann. Im Lauf der letzten sieben Jahre ist die Werkserie Beijing Ballroom entstanden, aktuell arbeitet Hao an North East China Project.

Die Künstlerin verbindet Experimentalfilm mit beobachtender Dokumentation und greift auf vielfältige Aufzeichnungen zurück um dichte Narrative zu weben, die eng mit der heutigen Zeit verstrickt sind. Im vorigen Jahrhundert hat China dramatische Veränderungen durchlebt und weitergetrieben, jede neue Bewegung begann – in den Worten der Künstlerin – „mit einem Sturm“ und endete in einem abrupten Schlusspunkt. Die dauerhafte Reizung des Geistes und der Stimmung der Menschen hat eine emotionale Landschaft voll unerfüllter Sehnsüchte hinterlassen. Individuelle Erinnerungen verschmelzen mit der gemeinschaftlich geformten Geschichte. Als Teil der unterschiedlichen Bestrebungen in einem zerfurchten und komplexen Land, versuchen Haos Arbeiten, die Erfahrungen und Gefühle der Menschen zu vermitteln. Die aufgewühlten Emotionen werden zum Material für Wissensproduktion und fungieren als Richtschnur für die Zukunft.

Hao wurde 1985 geboren und schloss einen Master in Filmwissenschaft an den University Colleges of London ab, nach einem Bachelor in Medien und Kommunikation am Goldsmiths College. Vor diesem theoretischen Hintergrund kam sie nach ihrer Rückkehr nach Peking zum Filmemachen. Dort war die Kultur für Gesellschaftstänze aus der Zeit vor der Kulturrevolution nach wie vor präsent, trotz der gewaltsamen Umwälzungen im ganzen Land. Aus dem Auftrag, die Geburtstagsfeierlichkeiten einer bekannten Turniertänzerin zu filmen, schuf Hao zusammen mit ihrem Kameramann die Videoarbeit Off Takes (2016), die sich mit dem festlichen Treiben beschäftigt, außer mit dem Geburtstagskind selbst, das sie beauftragt hatte. Die Arbeit ist einer von fünf Teilen der Serie Beijing Ballroom, die sich einen Weg durch unterschiedliche Aspekte dieser sozialen – nicht sozialistischen – Tanztradition bahnt, die scheinbar zufällig trotz aller Widrigkeiten Bestand hatte. Auch hier steht das Persönliche im Vordergrund um den Haupterzählstrang zu durchbrechen. Das Projekt wurde 2016 in zwei Einzelausstellungen in Peking gezeigt, New Directions: Hao Jingban am UCCA Center for Contemporary Art und Over-Romanticism im Taikang Space. Im gleichen Jahr erhielt Hao den jährlichen Youth Award Grand Jury Prize der Art Sanya, China. 2017 wurde sie als Young Artist of the Year am elften Award of Art China ausgezeichnet, sowie mit dem Preis der Internationalen Filmkritik (FIPRESCI-Preis) bei den 63. Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen.

Für die Entwicklung ihrer Werke wählt die Künstlerin einen intuitiven und investigativen Zugang und stellt Fragen, ohne dabei dogmatisch zu sein. From Nanhu Park to Hongqi Road (2018) beschäftigt sich mit der Komplexität der Bewahrung von Geschichte mittels Sprache. Für das North East China Project, das mit dreißig DVDs der japanischen Produktionsfirma Manchukuo Film Association startete, begann sich Hao mit Performance in der kinematographischen Tradition auseinanderzusetzen. Forsaken Landscapes (2019) ist eine Vier-Kanal-Installation, die über den gesamten Ausstellungsraum des Rockbund Art Museum, Shanghai, verteilt gezeigt wurde. Die ersten drei Projektionen zeigen die Landschaft der Mandschurei, die aufgrund der klimatischen Bedingungen und politischen Situation kaum darstellbar ist, als unerbittlich, utopisch und fruchtbar. Die letzte Projektion zeigt den Benshi Musiker Ichiro Kataoka, der das Land mit seiner Performance zu neuem Leben erweckt. Die Arbeit wurde erstmals 2018 in der Blindspot Gallery als Teil von Haos Einzelausstellung Uninvited Guests gezeigt und wurde für das Rockbund Art Museum 2019 weiterentwickelt, wo die Künstlerin unter den vier Finalist*innen für den Hugo Boss Asia Art Award war.

Mit großem Einfühlungsvermögen arbeitet Hao an einer Visualisierung dessen, was sich dem Blick entzieht. In Tauchgängen zwischen der verborgenen Agenda historischer und aktueller kultureller Projekte erzählt Haos rigorose Herangehensweise nicht nur von einem historischen Moment in Chinas Modernisierungsprozess, sondern spricht von innen heraus: „Ich höre auf den Atem des stillen Kontinents während das Morgenlicht langsam die Schatten verblassen lässt.“ (Aus dem Skript von Forsaken Landscapes, 2019)

Text: Hera Chan
Übersetzung: Julia Stoff

Vergangen

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