Philippinen, Film, 2024, in Berlin

Khavn

Photo: Diana Pfammatter

Khavn De La Cruz, oder einfach Khavn, gibt nichts auf den schönen Schein: Er bespielt die Klaviatur der Katastrophe – und bedient sich dabei einer ausschweifenden, teils verblüffenden Bandbreite an Medien und MitstreiterInnen. Um die Jahrtausendwende machte er sich die Demokratisierungstendenzen der digitalen Technologie zu Nutze, die den Weg für eine Neue Welle im philippinischen Kino ebnete und den Druck minderte, Kompromisse mit GeldgeberInnen aus der Industrie eingehen zu müssen. Herausgekommen ist eine Flut kostengünstiger, extravagant-bizarrer Filme – Khavn hat seit Mitte der 1990er Jahre mehr als fünfzig Spielfilme und zweihundert Kurzfilme gedreht. Seine Filme sind eine lautstarke Kampfansage an die Passivität, die der Mangel an Ressourcen auf den Philippinen mit sich bringt, und an einen Mainstream, der bereit ist, die Tyranneien der Staats- und Kolonialgeschichte geflissentlich auszublenden.

In Mondomanila (2012), der wie ein Punksong als kurze Attacke daherkommt, führt uns ein Mann, der mit seinem extravaganten Hut an einen Zirkusdirektor erinnert, in die nächtlichen Slums von Manila, wo eine bunte Mischung aus trickreichen LebenskünstlerInnen, Zuhältern und DraufgängerInnen ihr bestes Blatt gegen die Verzweiflung ausspielt. Khavn tut erst gar nicht so, als würde er seinen Landsleuten angesichts globaler Ausbeutung, staatlicher Vernachlässigung und brutaler Realität die Würde zurückgeben wollen; vielmehr sucht er die unbändige Dynamik des Lebens im Chaos und in der Absurdität des Ruins, ohne sich zu scheuen, den Schmerz einer geschundenen Nation als poetischen Exorzismus auf sich zu nehmen. Alte Mythen werden von Khavn transformiert und neu inszeniert: In seiner zweiten Zusammenarbeit mit Alexander Kluge, Orphea (2020), spielt Lilith Stangenberg einen weiblichen Orpheus auf der Suche nach Eurydike in einem zur fantastischen Höllenlandschaft mutierten Manila.

Khavn agiert in dem Bewusstsein, dass Erinnerung und Widerstand kollektiv sind, und agitiert gegen die Auslöschung der sozialen Ränder. 2010 gab er ein Buch heraus, in dem er die wichtigsten FilmemacherInnen der philippinischen Neuen Welle vorstellt. In seinen eigenen Filmen wiederum gräbt er die Werke seiner VorgängerInnen aus und setzt sie in einen Dialog mit der Gegenwart. So ist Maynila sa mga Pangil ng Dilim / Manila in the Fangs of Darkness (2008) eine Neuinterpretation von Maynila, sa mga Kuko ng Liwanag / Manila: In the Claws of Light (1975) von Lino Brocka, einer Stimme für die Verarmten und gegen staatliche Repression. Dessen Widerspruchsgeist von unten, der auch die RegisseurInnen der Neuen Welle beflügelte, würdigt Khavn in National Anarchist: Lino Brocka (2023).

Khavns Roman Antimarcos, ein maximalistischer, postmoderner Aufschrei gegen die eiserne Faust der strukturellen Armut, wurde 2022 mit dem nationalen Palanca Grand Prize ausgezeichnet. Im selben Jahr inszenierte der versierte Pianist, Komponist und Theaterregisseur auch die genreübergreifende Produktion SMAK! SuperMacho AntiKristo: A Headless 100-Act Opera To Avenge All Bicycles Of The Universe According to Jarry & Rizal an der Berliner Volksbühne. Das futuristische, antikoloniale Rache-Rockmusical mit Stummfilm-Elementen ist ein surrealistisches Spektakel, das von zwei Renegaten des neunzehnten Jahrhunderts inspiriert wurde: dem französischen Symbolisten Alfred Jarry und dem philippinischen Widerstandsheld José Rizal. Wer sich auf Khavn einlässt, erlebt Kreativität als eine Flut lustvoller, sich gegenseitig befruchtende Ansätze, sich die Welt anzueignen und gemeinsam mit anderen der institutionalisierten Macht Einhalt zu gebieten.

Text: Carmen Gray
Übersetzung: Anna Jäger

Vergangen

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