Libanon, Bildende Kunst, 2017

Lawrence
Abu Hamdan

Foto: Krzysztof Zielinski

Lawrence Abu Hamdan arbeitet an den Schnittstellen von Sound und Politik, wobei es insbesondere um den Akt des (Zu-)Hörens geht (‚politics of listening’). Seine Projekte können die Form von audiovisuellen Installationen, Performances, Grafiken, Fotografien, Islamischen Predigten, Tonbandkompositionen, Kartoffelchips-Verpackungen, Essays und Vorträgen annehmen. Im Zentrum seiner audio-ästhetischen Forschung steht die forensische Untersuchung von Soundmaterial – oft in Zusammenarbeit mit dem Institut Forensic Architecture des Goldsmiths College London. Diese dient in erster Linie der Aufklärung konkreter politischer Sachverhalte – etwa in der Erstellung eines virtuellen 3D Modells von Assads Saydnaya Foltergefängnis, bisher ein blinder Fleck auf der Karte von Amnesty International, aufgrund der Aussagen von Ohrenzeugen. Da Inhaftierte über lange Zeit ihrer visuellen Sinne beraubt wurden, wurde die Architektur des Gefängnisses in ihrer Funktion als Echozelle selbst zum architektonischen Folterinstrument. Das Modell dient der Aufklärung über und der Erinnerung an diesen Schreckensort.

Das Material für die Ausstellung Earshot 2016 im Portikus in Frankfurt ging auf eine Investigation zurück, die Forensic Architecture und Abu Hamdan im Auftrag der Menschenrechtsorganisation Defense for Children International durchführten, um den gewaltsamen Tod zweier unbewaffneter palästinensischer Teenager 2014 durch israelische Soldaten in den besetzten Gebieten der Westbank aufzuklären. Die audio-ballistische Analyse von Aufnahmen der abgefeuerten Gewehrschüsse in einem Verfahren zur Visualisierung von Soundfrequenzen ergab eindeutig, dass die Soldaten nicht, wie behauptet, Gummigeschosse verwendet hatten, sondern echte Munition, und dass sie dies zudem zu vertuschen suchten, indem die Projektile durch Gummi „getarnt“ wurden. Die Videoinstallation Rubber Coated Steel im Zentrum der Ausstellung fungierte als symbolisches Tribunal für die Projektile, die Nadeem Nawara and Mohamad Abu Daher töteten, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Stille der Opferstimmen lenkt.

Für die Liverpool Biennale entstand 2016 die Hummingbird Clock, die aus einer gegenüber dem Gerichtsgebäude in Liverpool permanent im öffentlichen Raum installierten Intervention und einer Web-Komponente besteht. Die Skulptur – ein „Baum“ mit drei Ferngläsern in Form von Überwachungskameras, die auf die Uhr des Gerichtsgebäudes gerichtet sind – ist als Instrument zur Gegenüberwachung gedacht. Die sekündlichen Schwingungen des unhörbaren doch stetigen Summens des Elektrizität-Verteilungsnetzes werden seismographisch aufgezeichnet und archiviert und können nach Anfrage zur Verfügung gestellt werden. Anhand dieser Database können digitale Aufnahmen mit fingerabdruckgleicher Präzision zeitlich zugeordnet werden – ein Verfahren, das die britische Regierung bereits seit zehn Jahren zur Überwachung anwendet.

Die Installation A Convention of Tiny Movements (2015) beruht auf Ergebnissen einer Forschungsgruppe am MIT, wonach die Oberflächen bestimmter alltäglicher Objekte bzw. ihrer Verpackung, wenn sie durch Sound in Schwingung gebracht werden, als Aufnahmegeräte fungieren. Interessant dabei ist, dass diese Objekte der menschlichen Stimme noch ihren eigenen Sound hinzufügen. Die Installation, die unter anderem aus einer Tonbotschaft in einer Flüsterzelle und einem Set von 5.000 spezifisch hergestellten Chipspackungen bestand, führt ein verstörendes Szenario der Überwachungsmöglichkeiten der nahen Zukunft vor.

Text: Eva Scharrer

Vergangen

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