Kolumbien, Literatur, 2005

Memo
Anjel

Memo Anjel (José Guillermo Ángel) wurde 1954 in Medellín, Kolumbien, als Kind algerischer Einwanderer geboren. Er sagt von sich selbst, dass Schreiben eine essentielle Tätigkeit für ihn sei, etwas, das ihm dazu dient, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und das Wesen des Anderen zu erkennen, um den Sinn der Toleranz und des Lebens zu ergründen. Denn, so Anjel, erst die notwendige Kenntnis dessen, was uns umgibt, erlaubt uns überhaupt zu leben und unser Dasein mit Transparenz zu erfüllen.

Neben der Arbeit an seinem literarischen Werk ist Anjel seit 16 Jahren als Professor für Soziale Kommunikation an der Universidad Pontificia Bolivariana in Medellín tätig. Darüber hinaus schreibt er jede Woche die Kolumne „Cartas dispersas“ für die Tageszeitung El Colombiano. Während seines Berlinaufenthalts schrieb er die Kolumne in Form von Briefen an deutsche Geistesgrößen und Stars wie etwa Albert Einstein, Jacob Grimm, Marlene Dietrich oder Max Schmeling. 1991 war er einer der Gründer des Café Literario in Medellín.

Das weithin verbreitete Bild von Kolumbien als einem Land im Bürgerkrieg, voller Gewalt und Drogenhandel, findet sich in Anjels Büchern ganz bewusst nicht. So etwa in seinem Roman „Das meschugge Jahr“, in dem der Leser aus der Sicht eines 13-jährigen Jungen die täglichen Glücksmomente und häuslichen Katastrophen einer zehnköpfigen sephardischen Familie im Medellín der 50er Jahre miterlebt – ein Wechselspiel von Erwartungen, Enttäuschungen und Erfüllung rund um einen großen Traum: eine Reise in die Stadt aus Gold, Jerusalem. Anjels Erzählkunst zeichnet sich dadurch aus, dass er einerseits die Ereignisse in manchmal atemlos schnellem Tempo aufeinander folgen lässt, andererseits liebevoll und geradezu zärtliche seine Figuren zu Leben erweckt. „In einem Klima der völligen Zerstörung legt das Glück Fallen aus – und die Literatur muss von diesen Freiräumen erzählen.“

Anjel zählt sich zu einer Gruppe moderner kolumbianischer Schriftsteller, die nicht mehr spezifisch kolumbianisch, sondern universal denken und schreiben. „Menschen machen weltweit ähnliche Erfahrungen ? ob sie in Kolumbien oder Deutschland leben: Sie haben Familie, arbeiten, leiden, erleben die gleichen Tragödien, Krieg und Emigration.“

Anjel hat sich intensiv mit jüdischen Klassikern beschäftigt und geht in vielen seiner Werke seiner eigenen sephardischen Geschichte und der Frage nach, was es bedeutet, in der heutigen Assimilationskultur ein sephardischer Jude zu sein. Von ihm liegen mehrere Essays über den Beitrag der arabischen Kultur zur Entwicklung der abendländischen Zivilisation sowie zur Rolle der jüdischen Kultur und Geschichte im zeitgenössischen literarischen und philosophischen Denken vor.

Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung

Das meschuggene Jahr
(Rotpunktverlag, Zurich, 2005. Übersetzt von Erich Hackl and Peter Schultze-Kraft)

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