Morton
Feldman
Morton Feldman (geb. 1926 in New York, gest. in 1987 in Buffalo) war einer der auffälligsten Figuren der amerikanischen Avantgarde, als er im September 1971 der Einladung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (BKP) folgte, im Gegensatz zu John Cage in Europa allerdings noch kaum ein Begriff. Die frühen 1970er Jahre markieren einen Wandel in der Ästhetik des Komponisten: Feldman war ein Pionier grafischer Notation und wie seine Komponistenfreunde im Umfeld der New York School Earle Brown, John Cage und Christian Wolff ein Verfechter offener, nicht vollständig im Notat fixierter Formgefüge. Tondauern und metrische Proportionen blieben in Feldmans Partituren der 1960er Jahre oft flexibel oder unbestimmt. Mit dem Zyklus The Viola in My Life 1–4 (1970/71) kehrte Feldman jedoch zur konventionellen Notation zurück. Eine überraschend intensive Einbeziehung fragmentarischer Melodiegebilde und motivisch klar umrissene Gestalten waren die Folge, die einen von Stille und Pausen geprägten Klangraum bevölkern. Feldman sprach in diesem Zusammenhang von „ausgewählten Möbelstücken“, die in ehemals „leere, weiße Räume“ gestellt werden. Auch Ausdruck und Form wurden latent dramatisiert durch größere (auch dynamische) Kontraste und expressive Höhepunkte. Man könnte im Hinblick auf die erste Hälfte der 1970er Jahre auch von einer „figurativen“ Phase in Feldmans Komponieren sprechen, das durchwegs stark beeinflusst war von der zeitgenössischen Malerei (insbesondere vom Abstrakten Expressionismus).
Morton Feldman legte als Gast des BKP eine bemerkenswerte Produktivität an den Tag und schrieb zwischen September 1971 und Oktober 1972 eine ganze Reihe von Werken, die zumeist Soloinstrumente oder Stimmen einem größeren Klangkörper gegenüberstellen. Wie Stillleben der Malerei geben die Titel mit betonter Sachlichkeit das „Inventar“ der Stücke an, ihr Gestus ist ausgesprochen kontemplativ und minimalistisch. Feldman selbst kommentierte seinen Schaffensdrang in der ihm eigenen Ironie: „Life in Germany is so boring. You have to write masterpieces to keep interested.“ Die Werke, die Feldman in Berlin vollendete oder neu schrieb, waren in chronologischer Reihenfolge: Three Clarinets, Cello and Piano (1971), Chorus and Orchestra 1 für Sopran, Chor und Orchester (1971), Voice and Instruments 1 für Sopran und Orchester (1972), Cello and Orchestra (1972), Pianos and Voices 1 für 5 Klaviere (1972), Pianos and Voices 2 für 5 Soprane und 5 Klaviere (1972), Voices and Instruments 1 für Chor, Flöten, Englischhorn, Klarinette, Fagott, Horn, Pauke, Klavier und Kontrabass (1972), Voices and Instruments 2 für 3 hohe Stimmen, Flöte, 2 Violoncelli und Kontrabass (1972), Trio für drei Flöten (1972), Chorus and Orchestra 2 für Sopran, Chor und Orchester (1972). Voice and Instruments 1 und Pianos and Voices 1 wurden 1972 in Berlin uraufgeführt. Aber auch als Interpret seiner eigenen Musik trat der Komponist in Erscheinung: Am 4. November 1971 gab es ein Konzert mit Feldmans früher Klaviermusik in der denkwürdigen Besetzung John Tilbury, Morton Feldman, Gerhard Rühm und Yukiko Sugawara.
Auch nach Ablauf des Stipendiums rissen die künstlerischen Kontakte zu Feldman nicht ab: 1973 war eine weitere „Kontakteinladung“ von drei Monaten geplant, die sich aber nicht realisierte, da er 1973 eine Professur in Buffalo an der State University of New York antrat. 1976 traf Feldman im Berliner Schiller Theater auf Samuel Beckett, Initialzündung zu seiner Beckett-Oper Neither, die 1978 im Rahmen des Metamusik-Festivals in der Neuen Nationalgalerie in Deutschland erstaufgeführt wurde.
Text: Dirk Wieschollek