Guatemala, Bildende Kunst, 2016

Naufus
Ramírez-Figueroa

Verlust, Identität und Vertreibung sind wiederkehrende Sujets im facettenreichen Werk von Naufus Ramírez-Figueroa. Der aus Guatemala stammende und in Kanada aufgewachsene Künstler bedient sich dafür aus so unterschiedlichen kulturellen Feldern wie Folklore, Träume, antiker Mythologie, Poesie oder Magie, aber auch Verschwörungstheorien. Er bindet Aspekte des Theaters, der Literatur und der Politik in seine Skulpturen, Performances oder Zeichnungen ein, die tief geprägt sind von der jüngsten Geschichte Guatemalas, dem Bürgerkrieg (1960–96) und der Befreiung von der Militärdiktatur.

Seine Online-Performance “Illusion of Matter” (2015), aufgeführt im Rahmen der Serie “Performance Room“ der Tate Modern, ist ein träumerisches, assoziatives und von Kindheitserinnerungen geprägtes Stück, an dem neben dem Künstler auch Kinder als Darsteller mitwirken. Am Ende des Stückes verwüsten sie die Kulissen und belegen damit auch Ramírez-Figueroas Begeisterung für eine verspielte kindliche Energie, die sowohl schöpferisch wie zerstörerisch sein kann.

Die Leichtigkeit des künstlerischen Ansatzes wirkt vor dem Hintergrund der politisch durchaus prekären Themen des Künstlers häufig wie eine Provokation, so etwa in dem Video “A Brief History of Architecture in Guatemala” (2010–13). Mit zwei Tänzern bewegt sich Ramírez-Figueroas zu einer traditionellen Marimba Melodie, nur mit Pappkostümen bekleidet, die guatemaltekische Architekturstile darstellten: einen Mayatempel, eine Kolonialkirche und das modernistische Gebäude der National Bank of Guatemala. Durch die Tanzbewegungen lösen sich die Pappgebäude in ihre Bestandteile auf, kollabieren und geben die nackten Körper der Tänzer frei – eine bitterkomische Kritik an der aktuellen dysfunktionalen Städtebaupolitik des Landes. Für sein Video “Incremental Architecture” (2015) nahm der Künstler das Motiv bedenklicher Papparchitekturen wieder auf, diesmal mit Bezug auf die „architecture of remittance“, (wörtlich: Architektur der Heimatüberweisung) jene nicht nur für Lateinamerika typischen, durch Arbeitsmigranten finanzierte opulente Privatbauten, die durch auffällige bis absurde Stilblüten geprägt sind. Diese Gebäude signalisieren den wirtschaftlichen Erfolg ihrer Besitzer im Ausland, und verleihen dem Traum der Rückkehr in die Heimat eine konkrete Form. Diese jedoch spiegelt in ihrer stilistischen Willkür eine fragile Kulturlandschaft wider, die, durch die Globalisierung geformt, zunehmend von kultureller Entwurzelung geprägt ist.

Auch dem einzelnen fluoreszierenden Zeigefinger, der in der Installation “God’s Reptilian Finger” (2015), umgeben von amorphen Objekten, wie eine stillstehende Explosion im dunklen Raum schwebt, fehlen nicht nur Hand und Körper, sondern auch eine klare Richtung: worauf weist er hin? Der Künstler fand zum einen Inspiration in Motiven des zeitgenössischen und in rechten Kreisen populären Esoterikers David Icke, insbesondere in der von ihm publizierten Idee einer 6.000 Jahren alten Geheimgesellschaft von außerirdischen Eidechsen-Übermenschen, der „Babylonischen Bruderschaft“. Zum anderen bezieht er sich auf die kaum minder grotesk anmutende Geschichte pseudo-archäologischer Ausgrabungen, die seit 1947 von mormonischen Missionaren in Guatemala unternommen wurden. Ihr Ziel war es, Belege für westliche Einflüsse auf präkolumbianische Zivilisationen nachzuweisen, wie sie im Buch Mormon beschrieben werden. Mit seiner illustrativen, und theatralisch überspitzten Inszenierung dieser Gemengelage von Ideen nimmt er deren Bildern die Wirkungsmacht und entlarvt sie als Fantasterei und inkohärente Spekulation, ebenso wie den ihnen zugrundeliegenden imperialistischen und latent rassistischen Impetus.

Text: Angela Rosenberg

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