Osías
Yanov
„Strike a pose!“ Vor dreißig Jahren rückte Madonnas Hit Vogue Manhattens Ballsäle, ihre Choreographie und Politik, in das pokulturelle Bewusstsein. Im gleichen Jahr machte Jennie Livingstones Dokumentarfilm Paris brennt (Paris is Burning) die Subkultur des Voguing zum Thema theoretischer Debatten. Diese Einführung von Glamour hat jedoch den anti-heteronormativen Kern von „strike a pose“ als Widerstandsform nicht verändert – als eine Verteidigungsstrategie gegen den kategorisierenden Blick eines Systems, der auf die Lesbarkeit von Körpern abzielt.
Getrieben von Bewegungen gegen diese Lesbarkeit von Körpern und von einer unentwegten Suche nach Spannungsfeldern, Druck, Überschuss, Verlangen und Freude, ist Osías Yanov Teil einer queeren Generation, die lernen musste, verzweigte Wege zu gehen. Sie wuchs auf zu jenen Rhythmen tanzend, die diese Geste des Widerstands auf der Bühne populär machten; sie erlebte die Spätfolgen der HIV-Krise, die weltweit tiefe Verwundungen in den queeren Szenen hinterließen – zur gleichen Zeit als Madonna Vogue auf den großen Konzertbühnen choreographierte, gemeinsam mit der Ballsaal-Community.
Yanov ist sich der groben Schönheit dieser Umwege bewusst. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen Performance, Installation und Video und schaffen aufschlussreiche Settings und Szenarien, die auf Grenzen und Grenzüberschreitungen bauen, immer auf der Suche nach unterschiedlichen Realitäten im sichtbaren Alltäglichen. Sie bilden den Ausgangspunkt für eine Praxis, in der die Grenzen des Individuums mit jenen des Kollektivs verlaufen, und ein gemeinschaftlicher Raum für unerwartete Reaktionen des Körpers entsteht. Manchmal sind die Körper alleine – wie in Oil (2014) – oder Teil eines Kollektivs – wie in VI Sesión en el Parlamento (2015). Die Codes und Rollen, mittels derer die Ideologien und Ästhetiken der Moderne verkörpert werden, sind die Schlüssel für Yanovs Choreographien.
Diese Bezüge werden verstärkt und verschoben um eine neue, imaginierte Grammatik von Erotik zu schaffen, in der das Kollektive und das Intime verschwimmen. Die Schlitze in den Cameo-Tanzkostümen im Genitalbereich erinnern an Merce Cunninghams erste Grenzüberschreitungen in den 1970er-Jahren. Die kleinen Stacheln an den skulpturalen Metallinstallationen deuten auf ein Ritual von Anspannung, Schmerz und Vergnügen. Mittels solcher Anordnungen will Yanov die Konstruiertheit von ideologisch besetzten Körpern für das Publikum demaskieren.
Yanovs Mitstreiterinnen kommen aus den Szenen, die ihm vertraut sind. Ihr Austausch beginnt immer in einem gemeinsamen Raum wie einem Dancefloor. Sie sind Transsexuelle, Drag Queens, Junkies, ehemalige Junkies, Sportlerinnen, Club Dancer – Individuen, die Klassifizierungen wie „behindert“ oder „fett“ hinterfragen, sich aneignen und die sich selbst täglich einer Prüfung ihrer eigenen Lesbarkeit stellen müssen. Die Recherchen für seine jüngste Arbeit Orphan Dance (2018), führten Yanov in das Londoner Nachtleben, wo er neue Bekannte einlud, mit ihm zusammen in einem Setting zu performen, das für mechanische Automatisierung und Effizienz steht.
Die grobe Schönheit, die Macht unserer versteckten und nicht anerkannten Gefühle nähren diese neu imaginierte Grammatik des Erotischen. Mittels dieser Grammatik inszeniert Osías Yanov in seinen Arbeiten einen Optimismus der Nacht, der neue Wege für soziale Choreographien ermöglicht. Im ständigen Wunsch nach Veränderung sucht Yanov die Verkörperung des lustvollen Verlangens zwischen antiken, modernen und zeitgenössischen Ritualen.
Osías Yanov lebt und arbeitet als Künstler und Forscher in Buenos Aires. Seine Arbeit Orphan Dance war zu sehen in den Gasworks, London (2018); 6_noevius_10 Agmixmix Vixfam in der Galería Nora Fisch, Buenos Aires (2017); CRISIS bei Zarigüeya /Alabado Contemporáneo, Quito; VI Sesión en el Parlamento am MALBA, Buenos Aires, bei der 11. Gwangju Biennale (alle 2016).
Text: Övül Durmusoglu
Deutsche Übersetzung: Julia Stoff