Petina
Gappah
1980 erlangte Simbabwe die Unabhängigkeit, ein mehrjähriger Befreiungskrieg kam zu seinem Ende, das Mehrheitswahlrecht wurde eingeführt. Diese Fakten sollte im Kopf haben, wer das Werk der 1971 in Simbabwe geborenen Autorin Petina Gappah gänzlich verstehen will: Studiert hat sie zwar in Simbabwe und England und promoviert in Österreich, sie lebt in Frankreich und arbeitet als Völkerrechtlerin mit Schwerpunkt Welthandel in Genf.
Doch Gappahs Kindheit und damit ihr Blick auf die Welt wurde von den politischen Zäsuren ihrer Heimat maßgeblich geprägt. Es wundert insofern nicht, dass Simbabwe auch Schauplatz ihrer bisherigen Prosawerke ist: 2009 debütierte sie mit dem Erzählband „An Elegy for Easterly“, der in rascher Folge – und hochgelobt von J.M. Coetzee – mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde, so etwa mit dem „Guardian Firat Book Award“. Darin geht es unter anderem um Easterly Farm, eines der vielen heruntergekommenen Elendsviertel in Mugabes Simbabwe zu jener Zeit, als der Machthaber bereits alle Hoffnungen, die mit der 1980 erlangten Unabhängigkeit verbunden waren, zunichtegemacht hatte. Erdrückende Inflation, lähmende Bürokratie, grassierende Misogynie und Hypokrisie machen den einfachen Menschen das Leben zur Hölle – ihnen und ihrer Widerstandskraft setzt die Autorin zugleich ein kräftiges Denkmal. Dennoch zeichnet sie kein simples Schwarz-Weiß-Bild der simbabwischen Gesellschaft: Sie spielt vielmehr mit Perspektiven, macht deutlich, dass keine ihrer Figuren nur gut oder nur schlecht ist – nicht einmal Mugabe. Schon in diesen Erzählungen erweist sich ihre Sprache als so klar wie klangvoll und gefärbt von einer lyrischen Musikalität, wie sie dem Shona – ihrer Muttersprache – zu eigen ist. Nicht zu vergessen: Petina Gappahs große Gabe für Humor, für eine satirische Note, die auch diese Erzählungen davor rettet, sich in jener Tragik zu verlieren, von der sie letztlich handeln: von einer Gesellschaft, in der die sozialen Gräben so messerscharf wie unüberbrückbar sind – und ergo Schweigen, Lügen und Geheimnisse im Übermaß gedeihen. Diese sozialen wie politischen Verwerfungen finden sich als Thema erneut wieder in Petina Gappas erstem Roman „Die Farben des Nachtfalters“ (2016). Ich-Erzählerin ist Memory, eine Frau, die aus mehreren Gründen eine Außenseiterin, eine Ausgestoßene ist: Memory ist ein Albino – und damit weder richtig schwarz noch richtig weiß in einem Land, in dem Menschen vor allem über ihre Hautfarbe definiert werden. Und sie sitzt als erste und einzige Frau im Todestrakt in einem Gefängnis von Harare, da man sie für schuldig gesprochen hat, ihren Ziehvater Lloyd Hendricks – einen Weißen, an den ihre Eltern sie im Alter von 9 Jahren verkauft haben – ermordet zu haben. Der Roman besteht aus Memorys Rückschau auf ihr Leben, das sie für eine amerikanische Journalistin niederschreibt, in der Hoffnung, womöglich begnadigt zu werden und ihre Unschuld zu beweisen. Memory ist ein sprechender Name – und wie jede Erinnerung eine trügerische, da in schlingernden Bahnen sich rekonstruierende ist, erweist auch Memory sich als eine zwielichtige Erzählerin: Nicht nur führt sie die Leser in mäandernden Bahnen hin und her durch die Zeit, immer wieder auch muss der Leser revidieren, was er bereits für gesichert hält. Vor allem das Geheimnis, welcher Natur Memorys Verhältnis zu besagtem Lloyd Hendricks war, wird erst spät gelüftet, nicht zuletzt weil auch Memory lange der eigenen Wahrheit nicht ins Gesicht blicken kann. Beflügelt werden ihre Erinnerungen übrigens durch Fotografien, Musik und mündlich überlieferte Geschichten – ein indirekter Hinweis auf den Umstand, dass die Geschichte der Schwarzen – im Gegensatz zu Lloyds Leben und damit der Geschichte der Briten, wie Memory eines Tages begreift – meist keinerlei schriftliche Notation erfährt. Zugleich liefert Petina Gappah im Spiegel von Memorys Lebensweg ein bestechendes Panorama der jüngeren Geschichte Simbabwes, nicht zuletzt der Rassen- und Klassenfragen, die das Land ebenso umtreiben wie die allgegenwärtige Korruption und die Frage, wie hältst du es mit Religion und Tradition? Rassen- und Klassengrenzen bilden auch den Fokus ihres Erzählbandes „Rotten Row“ (2016). Inspiriert durch die Lektüre von Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichtensammlungen „Verbrechen“ und „Schuld“, las sie lokale Kriminalberichte in simbabwischen Zeitungen mit anderen Augen und begriff, dass sich im Verbrechen alle sozialen Schichten kreuzen: der ideale Stoff, um der eigenen Gesellschaft erneut auf den Zahn zu fühlen. Dass sie dabei auch am Lack der westlichen Mächte kratzt, die in Simbabwe in Form von ungezählten, aber einflussreichen NGOs Fuß gefasst haben, dürfte sich bei einer Autorin, in der das Herz einer Menschenrechtsanwältin schlägt, fast von selbst verstehen.
Text: Claudia Kramatschek
Die Farben des Nachtfalters. Roman. Übersetzung: Patricia Klobusiczky. Arche Verlag. Hamburg 2016.