Sam
Vernon
Sam Vernon dichtet mit sich wiederholenden Bildern. Vernon druckt, fotokopiert, zeichnet und überarbeitet kontinuierlich Fotografien, Zeichnungen und Gemälde zu neuen Installationen und Objekten, die von relativ kleinen Einzelarbeiten bis zu riesigen Wandinstallationen und Kunstwerken im öffentlichen Raum reichen. Gefiltert durch Vernons zeichnende, scannende und gestaltende Hand, bewegen sich die Bilder zwischen dem Historischen und dem Persönlichen.
Vernon spricht häufig von Geistern in der Arbeit: sie stellen eine Verbindung zwischen dem Prozess und einem ästhetischen Ethos her.
In der Wiederholung liegt ein Spuk, die wie unvollendete Echos auftauchen und sich wieder verflüchtigen. Aus den Resten bereits gedruckter Bilder erschaffen DruckgrafikerInnen Geister. Für Vernon sind Geister Ursprung und Quelle: Sie lassen uns nicht vergessen, woher wir kommen, und sie zeigen uns, wo wir uns befinden.
In How Ghosts Sleep (2014) veranschaulicht Vernon diese Schatten im Zusammenspiel mit Drucken von Textilien und Masken. Das Werk spielt ebenso auf Afro Deco an wie auf die Südstaaten-Gotik von Toni Morrisons Beloved, wobei es auf die emotionalen Rückstände hinweist, die sich in dekorativen Tapeten ansammeln. In Louis & Sam (2016), das im Queens Museum zu sehen ist, arbeitet Vernon nachträglich mit Louis Armstrong, selbst ein hervorragender Collagekünstler, um eine riesige Wand im Atrium des Museums mit farbenfrohen Drucken zu gestalten. Vernons Installationen selbst werden zu eigenen Lebenswelten, zu Landschaften, die durch die Anhäufung und Streuung von Informationen entstehen.
Diese Geister betreffen auch die Gegenwart. Der Titel von Vernons Ausstellung Future Shock aus dem Jahr 2021 ist der Publikation von Alvin Toffler und Adelaide Farrell aus dem Jahr 1970 entlehnt, in der eine zukünftige, von rasantem technologischen Wandel gelähmte Gesellschaft beschrieben wird. Die Ausstellung umfasst Bilder von überwiegend schwarzen Personen aus aktuellen Zeitungen, früheren Ausgaben des Magazins Jet sowie Vernons persönlichem Archiv und verdeutlicht die Lähmung einer von Technologie und Nachrichten gesättigten Gegenwart, in der Berichte über Rassismus und Gewalt ununterbrochen ausgesendet werden. Die Ausstellung unterstreicht darüber hinaus einen kritischen Subtext in Vernons Arbeit – unser Verhältnis zur Repräsentation.
Gibt es eine Form der Repräsentation, die ihren Gegenstand nicht heimsucht, vor allem, wenn sie als Endpunkt verstanden, und mehr noch, wenn sie aufgezwungen wird? Die abstrakte und beunruhigende Wirkung von Vernons Werk fordert die Betrachtenden auf, solide und umfassend erscheinende Repräsentationen zu hinterfragen und so viel Raum zu geben, dass ein einzelnes Bild unerkennbar wird, wenn es sich vervielfältigt. Die Abstraktion erzeugt ein Spiel mit der Identität, insbesondere im Hinblick auf Schwarzsein und Gender, und die Wiederholung wird zum Mittel, mit dem die Bilder gegen ihren vermeintlichen Zweck rebellieren, welcher darin besteht, offenzulegen, wer oder was jemand ist.
In einer Vorlesung an der Utah State University im Jahr 2018 zeigte Vernon Ausschnitte aus einer Facebook-Live-Sendung zum eigenen Prozess des Zeichnens und Fotokopierens. Als Ausgangspunkt diente ein von Kerry James Marshalls Portrait of the Artist as A Shadow of His Former Self inspiriertes Selbstporträt. Einige Minuten lang sprechen beide Vernons gleichzeitig: Sam Vernon auf Facebook hält die Graphitzeichnung und ihre fotokopierten Schatten in die Kamera, und Sam Vernon in Utah erwähnt, welche Großzügig der Reproduktion und einer im Prozess stattfindender Überarbeitung innewohnt sowie die Verletzlichkeit, die eine Live-Präsenz in den sozialen Medien birgt. Alle vier Porträts sind unbestreitbar miteinander verbunden und doch unvereinbar, sie entfalten sich, sind lebendig.
Text: Gaby Collins-Fernandez