Sandra
Kogut
Sandra Kogut wurde 1965 in Rio de Janeiro, Brasilien, geboren und lebt heute in den USA. In Rio de Janeiro studierte sie Philosophie und Kommunikationswissenschaften. Sie ist eine der bekanntesten und profiliertesten Filmemacherinnen Lateinamerikas. Seit 1986 realisierte sie zahlreiche, preisgekrönte Filme und Videos. Sie begann ihr Karriere als Video- und Internetkünstlerin. Ihre Arbeiten, die sich an der Schnittstelle zwischen Dokumentation und Fiktion bewegen, wurden weltweit ausgestellt, unter anderem im „Museum of Modern Art“ und im „Guggenheim Museum“ in New York. Zahlreiche Institutionen wie das Harvard Film Archive oder das Filmmeuseum in São Paulo widmeten ihr Retrospektiven.
Während eines Aufenthaltsstipendiums in Frankreich begann Sandra Kogut die Arbeit an „Parabolic People“ – ein Videoprojekt, das ihren Wechsel von der Bildenden Kunst zum Dokumentarfilm markiert. Im Anschluss an das Stipendium verbrachte sie ein Jahrzehnt in Frankreich. Mit der 1991 fertiggestellten Videocollage „Parabolic People“ wurde sie international bekannt. Im Anschluss daran drehte sie mehrere Dokumentarfilme. Im Jahr 2007 schließlich realisierte sie ihr international ausgezeichnetes Spielfilmdebüt „Mutum“. Neben ihrer künstlerischen Arbeit unterrichtete Sandra Kogut an renommierten Hochschulen auf der ganzen Welt und arbeitete auch für verschiedene brasilianische und europäische Sendeanstalten. Die Filmemacherin erhielt zahlreiche internationale Auszeichnungen und Stipendien. Unter anderem unterstützte die Cité Internationale desArts, die Rockefeller & MacArthur Foundation und die UNESCO ihre Arbeit.
Ihre Werke verbinden das Dokumentarische mit dem Fiktionalen, das Experimentelle mit dem Essayistischen, das Persönliche mit dem Kollektiven. Ihre Filme sind gleichzeitig lyrisch und ironisch, leicht und spielerisch, aber auch unmittelbar und ernsthaft. Sie wirken aufklärerisch ohne didaktisch vorzugehen.
Für ihr Spielfilmdebüt „Mutum“ (2007) zog Sandra Kogut in den Sertão, die karge Savannenlandschaft im Landesinneren Brasiliens. Monatelang lebte sie dort mit den Einheimischen. Als sie ihre Laiendarsteller castete, stellte sie fest, dass diese noch nie in ihrem Leben einen Film gesehen hatten. Die Erfahrung des gemeinsamen Lebens auf der Farm flossen in das Drehbuch ein. Es basiert auf der Novelle „Campo Geral“ von João Guimarães Rosa, der oft mit James Joyce verglichen wird. In Brasilien gilt die abgelegene, arme Gegend als Sinnbild für die Welt. In Sandra Koguts Film wächst der zehnjährige Thiago dort, in einem Ort namens „Mutum“ auf. Gemeinsam mit seinem Bruder Felipe tritt er der Erwachsenenwelt, ihrer aggressiven Mischung aus Betrug, Gewalt und trügerischer Stille, entgegen. Der Debütfilm gewann 25 Preise, unter anderem „Best film“ bei den Festivals in Rio de Janeiro, Cancun und Kapstadt. Er lief unter anderem beim „Festival de Cannes“ und auf der Berlinale und kam in Brasilien, Frankreich und in den USA ins Kino.
Sandra Koguts Großeltern flüchteten vor dem Holocaust aus Ungarn nach Brasilien. Der Versuch der Enkelin, einen ungarischen Pass zu bekommen, bildet den roten Faden des filmischen Essays „A Hungarian Passport“ (2001). Entwaffnend unprätentiös verbindet Sandra Kogut kafkaeske Behördenerfahrungen, Interviews mit ihren Verwandten und ihr eigenes Reisetagebuch mit fundamentalen Fragen: Was bedeutet Nationalität? Wofür steht ein Pass? Was fangen wir mit unserem Erbe an? Wie konstruieren wir unsere Geschichte und unsere eigene Identität? Der Film erhielt unter anderem den Großen Preis beim Festival in Split und wurde als bester Dokumentarfilm in Budapest ausgezeichnet.
„Darf ich Sie mit Ihrem Lieblingsgemälde porträtieren?“ bat Sandra Kogut die Besucher des Pariser Musée d’Orsay für die „Passengers of Orsay“ (2002). Ihr Film begleitet die Menschen zu ihren Bildern und fragt gleichzeitig, wohin diese Bilder die Menschen bringen.
„Adiu Monde or Pierre and Claire’s story“ ist eine augenzwinkernde Reflektion über die Suche nach „Authentizität“ in den Pyrenäen. Metzger, Mechaniker, Bauern und Spaziergänger erzählen ihre Version der Legende vom jungen Schäfer, der verschwand und von der Schäferin, die ihm in die Wälder folgte. Poetisch und komisch zugleich zeigt der Film das Phänomen der Nostalgie, aber auch die Lebensfreude der Pyrenäen-Bewohner der Gegenwart. Der Film gewann elf Preise, unter anderen zwei bei den „Oberhausener Filmtagen“ und die „Goldene Taube“ in Leipzig.
„Parabolic People“ (1991) ist eine aus einem Kunstprojekt entstandene filmische Collage. Über mehrere Jahre hinweg stellte Sandra Kogut in Rio de Janeiro, New York, Tokyo, Dakar und anderen Städten Videobuden auf, in denen Passanten sich dreißig Sekunden lang allein aufnahmen. Die entstandene Collage ist ein ironischer Kommentar über die Beschränkung medialer und kultureller Wirklichkeit.
In Berlin wird Sandra Kogut das Drehbuch für ihren neuen Kinofilm schreiben. Der Stoff handelt von einer Familie und ihrem Umgang mit der allgegenwärtigen Gewalt in Rio de Janeiro. Aber statt spektakuläre Brutalität zu zeigen, interessiert die Filmemacherin, was nach dem traumatischen Ereignis passiert.
2007 Mutum (Spielfilm, 35 mm, 90’)
2002 Passengers of Orsay (Dokumentarfilm, Video, 52’)
2001 A Hungarian Passport (Dokumentarfilm, 35 mm, 72’)
1997 Adiu Monde or Pierre’s and Claire’s story (Dokumentarfilm, Video, 27’)
1991 Parabolic People (Experimentalfilm, Video, 40’)