Sheela
Gowda
Die 1957 in Bhadravati in Indien geborene Künstlerin wählt für ihre Arbeiten alltägliche Materialien aus, und nutzt deren Oberflächenstruktur, Farbe und Geruch um atmosphärisch dichte Räume mit hohem metaphorischen Potential zu schaffen. Häusliche Gegenstände, wie Nadel und Faden, Seile aber auch kunsthandwerklich hergestellte Holzobjekte, Blattgold, oder Färbemittel, wie sie für religiöse Zeremonien oder traditionell in Indien zur Verschönerung des Körpers verwendet werden, kommen bei ihr zum Einsatz, aber auch profaner, in Fladen getrockneter Kuhdung, der in Indien als häusliches Brennmittel und als Baumaterial eingesetzt wird.
Dieser hat für die hinduistische Mehrheit der indischen Bevölkerung auch eine sakrale Bedeutung. Praktischer Nutzen und Spiritualität des Materials sind so untrennbar miteinander verbunden. Für die Künstlerin war diese doppelte Qualität Anlass, das Material zunächst wie ein Pigment in Gemälden und später in skulptural anmutenden Arrangements einzusetzen um damit die jüngere Vergangenheit Indiens zu reflektieren. Auslöser für diese Arbeiten waren die Erfahrungen der Künstlerin im Zuge der gewalttätigen Ausschreitungen fundamentalistischer Hindus insbesondere in Mumbai 1992, welche die ausgebildete Malerin dazu brachten, sich von konventionellen malerischen Methoden abzuwenden und stattdessen verstärkt nach skulpturalen und installativen Ausdrucksformen zu suchen.
Gowda vermeidet es jedoch, ihre Arbeiten mit eindeutigen Stellungnahmen zu überfrachten. Vielmehr wird dem Betrachter ein Reflektionsraum eröffnet, dessen konzeptuellen Rahmen sie vorgibt. Für ihren Beitrag zur Documenta 12, „And Tell Him of My Pain, 1998/2001/2007“, bestückte die Künstlerin 89 Nadeln mit je 100m Garn, verdrehte die einzelnen Fäden ineinander und fixierte sie mit Gummi Arabicum, so dass sich eine dicke, lange Kordel ergab, die sich als autonome dreidimensionale Zeichnung von der Decke durch den Raum schlängelte, mit dem Bündel Nähnadeln an der Spitze. Mit dem Einfärben der Fäden mit duftendem, rotem Kurkuma bezieht sich die Künstlerin auf verschiedene Aspekte der Rolle der Frau in der patriarchalisch geprägten indischen Gesellschaft. Dazu gehören die Gewürzkultur zwischen Herd und Altar, ebenso wie die im Verschwinden begriffene heimische Handarbeit, aber auch die Kolonialgeschichte des Subkontinents. Deren Auswirkungen bis heute bestehen nicht zuletzt in der unsichtbaren Produktion von Heerscharen von Arbeiterinnen in den Sweatshops der Textilindustrie, die für internationale Modehäuser und deren Kunden Bekleidung liefern. Doch zeigt die Arbeit auch die Möglichkeit von Widerstand auf, denn mögen die Einzelfäden dünn sein, zur Kordel zusammengerollt, erscheinen sie nahezu unzerreißbar.