Philippinen, Film, 2022

Shireen
Seno

Picture credit: Shireen Seno, "Nervous Translation" (2018), film still

Shireen Senos Werk umfasst eine große Bandbreite miteinander verbundener Arbeitsfelder, die von Spielfilmen bis hin zu mehrkanaligen Video-Installationen reichen, und dabei kollektive Praktiken, ortsspezifische Installationen, fotografische Recherchen und kuratorische Ausgrabungen integrieren. Ihre Arbeit spürt unseren komplexen Beziehungen zueinander nach – zu unseren Familien, zur sozialen und politischen Geschichte, zu Medien und Technologie sowie zum Tierreich und zu ökologischen Lebenswelten, indem sie sich intensiv mit der Formbarkeit von Bildern beschäftigt und damit, wie sie uns in der Welt verorten. Ihre Aufmerksamkeit für die Macht der Bilder als Vermittler reicht vom Mikrokosmos der Familie bis hin zur Kolonialgeschichte der Philippinen und schließt ein ökologisches Verständnis der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Arten ein.

Geprägt von einer bemerkenswerten Sensibilität und Politik der Aufmerksamkeit, schaffen Senos Arbeiten Raum für verborgene Geschichten und Erzählungen. Sie hat mit einer Vielzahl von Bildgestaltungsstrategien gearbeitet: Für das während der Staatswerdung der Philippinen spielende Kindheitsdrama ihres ersten Films Big Boy (2012) setzte sie geschickt die Super-8-Filmtechnik ein, um die Versuche einer Familie in den 1950er Jahren nachzuverfolgen, ihren Sohn so groß wie möglich wachsen zu lassen. Für ihre Installation A child dies, a child plays, a woman is born, a woman dies, a bird arrives, a bird flies off (2018–22) setzte sie Fernrohre ein, die eigentlich zur Vogelbeobachtung bestimmt sind, um intime und formvollendete ornithologische Bilder zu erhalten, mit denen sie die Migration von Vögeln und anderen Tieren erkundet. Ihr zweiter Spielfilm, Nervous Translation (2018), ist eine so intime wie fesselnde Verkörperung der Welt eines ängstlichen achtjährigen Mädchens und eine Abrechnung mit allerlei Geistern, wie dem langen Schatten der Marcos-Diktatur oder einem abwesenden Vater, der im Ausland arbeitet und seinen elterlichen und ehelichen Pflichten über Kassettenaufnahmen nachkommt, die er nach Hause schickt. Senos Fokus auf die Familie ist oft ein Mittel, um die Gewalt und den Schmerz zu thematisieren, die dem häuslichen Leben ebenso zugrunde liegen wie dem Erbe des Kolonialismus und den herrschsüchtigen patriarchalischen Figuren, die weiterhin die politische Landschaft der Philippinen prägen. 

Die Arbeitspraxis der Künstlerin ist getragen von einem großen Engagement für künstlerische Communitys, vor allem über das in Manila ansässige Film- und Kunstlabor Los Otros, das sie zusammen mit John Torres betreibt. Die Installation Cloudy with a Chance of Coconuts (mit John Torres) aus dem Jahr 2020 verwandelte das Portikus in Frankfurt am Main in eine Filmkulisse, die die Prekarität von FilmemacherInnen aus dem globalen Süden abbildete, die sich ständig auf Reisen befinden. Sie rüstete Babyphone nach, um eine Kokospalme zu überwachen, die ihr zu Hause in Manila geparktes Auto während eines Taifuns zu zerstören drohte. In ihrem jüngsten Film To Pick A Flower (2021) seziert Seno den kolonialen amerikanischen Holzhandel auf den Philippinen und zeigt, wie dieser sowohl die Archive als auch die Konventionen der Fotografie beeinflusst. In ihrem gesamten Werk baut Seno komplexe Welten auf, intime und metaphysische, häusliche und ökologische, die uns nicht nur dabei helfen zu begreifen, wie und von wem Bilder gemacht werden, sondern vor allem, wie wir im einundzwanzigsten Jahrhundert durch Bilder denken. 

Text: George Clark
Übersetzung: Anna Jäger

Big Boy
(Spielfilm, 2012)

Shotgun Tuding
(Kurzfilm, 2014)

Nervous Translation
(Spielfilm, 2018)

A child dies, a child plays, a woman is born, a woman dies, a bird arrives, a bird flies off
(Videoarbeit, 2020)

To Pick a Flower
(Kurzfilm, 2021) 

Vergangen

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