Kroatien / Schweden, Literatur, 2006

Slavenka
Drakulić

Slavenka Drakulic wurde 1949 in Rijeka, Kroatien, geboren. Von 1982 bis 1992 arbeitete sie als Journalistin für die Zagreber Wochenschriften Start Cultural und Danas.

Nach dem Fall des eisernern Vorhangs und dem Zusammenbruch Jugoslawiens 1989 veröffentlichte Drakulic den Roman „Das Prinzip Sehnsucht“. 1991 erschien „How we survived communism and even laughed“ (Wie wir den Kommunismus überstanden – und trotzdem lachten). Später kommentierte sie mit Veröffentlichungen wie „Sterben in Kroatien – Vom Krieg mitten in Europa“ (1992) den Bürgerkrieg auf dem Balkan. Nach dessen Ende nahm Drakulic als Beobachterin an den Verhandlungen des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und einiger Gerichte in Kroatien teil. Daraus entstand ein Buch über die Täter der Balkankriege: „They would never hurt a fly“ (Keiner war dabei – Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht, 2004). Darin setzt sie sich mit der Banalität des Bösen und der Psychologie des Terrors als zwei der großen Herausforderungen des 20. und 21. Jahrhunderts auseinander und stellt die Frage, wie der Krieg möglich war. Drakulic sah sich in Den Haag mit der erschreckenden „Banalität des Bösen“ konfrontiert: unauffälligen Männern „von nebenan“, die für die „ethnischen Säuberungen“ von der Kraijna bis Sarajevo, das Massaker von Srebrenica oder die Vergewaltigungen der bosnischen Frauen verantwortlich waren und mit ihrer grauenhaften Normalität nichts anderes unterstrichen als die Tatsache, dass die Fähigkeit zum Bösen in jedem Menschen angelegt ist.

Auch das Leid der Opfer hat sie beschrieben. In ihrem Roman „Kao da me nema“ (Als gäbe es mich nicht, 1999) erzählt sie die Geschichte einer junge bosnische Lehrerin, die in ein serbisches Frauenkonzentrationslager verschleppt und dort immer wieder vergewaltigt wird.

Unnachgiebig klagt Slavenka Drakulic die Individualisierung von Schuld und Verantwortung ein, doch stößt sie mit dieser Forderung in ihrer Heimat auf Ablehnung: „Zu viele Menschen waren am Krieg beteiligt, und sehr viele haben von ihm profitiert. Es ist leichter und bequemer, mit der Lüge zu leben als mit der Wahrheit, mit der Möglichkeit von individueller Schuld und kollektiver moralischer und politischer Verantwortung.“
Das Unsagbare auszusprechen und die Abgründe menschlichen Seins in den Blick zu nehmen gehört zu den Herausforderungen, denen sich Slavenka Drakulic immer wieder stellt – nicht nur in ihren Büchern zum Krieg im früheren Jugoslawien. In ihrem Roman „Mramorna koza“ (Marmorhaut, 1998) etwa beschreibt sie das zwischen Erotik und Gewalt oszillierende Verhältnis zwischen einem pubertierenden Mädchen und dem Liebhaber der Mutter, in dem Roman „Bozanska glad“ (Das Liebesopfer, 1997) die Geschichte einer jungen Frau, die ihren Geliebten ermordet und verspeist, um auf ewig mit ihm zu verschmelzen, oder in „Hologrami straha“ (Das Prinzip Sehnsucht, 1989) den Kampf einer jungen Frau mit einer lebensbedrohenden Krankheit. Inzest, Kannibalismus, Krankheit, Krieg, Vergewaltigung – dies sind die Auswüchse menschlichen Seins, die zum Gegenstand ihres Schreibens zu machen Slavenka Drakulic sich nicht scheut.

Das Prinzip Sehnsucht.
Aus dem Serbokroatischen von Irene und Benna Meyer-Wehlack. Rowohlt, Reinbek 1989
Wie wir den Kommunismus überstanden – und trotzdem lachten.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Rowohlt Berlin, Berlin 1991
Sterben in Kroatien – Vom Krieg mitten in Europa.
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff und aus dem Serbokroatischen von Katharina Wolf-Griesshaber. Rowohlt, Reinbek 1992
Café Paradies oder Die Sehnsucht nach Europa.
Aufbau, Berlin 1997
Das Liebesopfer.
Aus dem Serbokroatischen von Astrid Philippsen.
Aufbau, Berlin 1997
Marmorhaut.
Aus dem Serbokroatischen von Astrid Philippsen. Aufbau, Berlin 1998
Als gäbe es mich nicht.
Aus dem Serbokroatischen von Astrid Philippsen. Aufbau, Berlin 1999
Keiner war dabei. Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht.
Aus dem Englischen von Barbara Antkowiak. Zsolnay, Wien

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