Kroatien / Serbien, Musik & Klang, 2023

Sonja
Mutić

Haben Sie sich schon einmal eine dieser Online-Animationen zur Dimension des Universums angesehen? Bewegtbilder, bei denen vom Menschen bis zu den kleinsten Elementarteilchen herangezoomt wird und dann in die Gegenrichtung – über Gebäude, Kontinente, Planeten, Sterne und galaktische Superhaufen – bis ins Universum selbst? Die Musik von Sonja Mutić (geb. 1984 in Kroatien) anzuhören, gleicht einer solchen Reise, in ihrem Falle durch eine Klanglandschaft, von der subatomaren bis zur interstellaren.

Wenn sie über ihre Musik redet, spricht Mutić von „sich verändernden Landschaften aus beinahe Nichts“ (abgrund, 2017), von der „Bewegung durch intensive elektronische Texturen zu harmonischen Orten auf der Suche nach dem … Kern“ (thrash|hold, 2019) und von „einer intergalaktischen Reise … durch verschiedene Landschaften von variierenden Intensitäten, Klängen und Farben“ (Nebulae, 2022). Sie beschreibt fühlbare Bilder von Bewegung und Reise, von der Entfernung zwischen einer Sache und einer anderen. Gleichzeitig sind es psychedelische und widersprüchliche Bilder. Wie lassen sich Räume in der Größenordnung des Universums und von Elementarteilchen auch sonst beschreiben?

sh[out] (2018), ein Werk für Sprechstimme, Elektronik und Video, ist beispielhaft für ihre jüngsten Arbeiten. Der Text beschreibt Details aus dem Privatleben der Komponistin (das traumatische Ende einer Beziehung) in Form eines einseitigen Gesprächs, das zunehmend schonungsloser und enthüllender wird: „Ich rede also, wie immer, mit mir selbst… Ich werde ersticken. Es tut mir leid.“ Es ist ein Gespräch voller schmerzhafter Stille, in die die zweite Hälfte des Werks tief hineinzoomt, bis sie zu dichten Wänden aus elektronischen Geräuschen wird, während die Stimme zu Fragmenten von Kummer und Erinnerung atomisiert wird. Unter dem Mikroskop wird die Distanz zwischen zwei Menschen zu einer alles verzehrenden Emotion vergrößert.

Seit sh[out] hat sich Mutićs Musik zunehmend solcher extremen Ausdrucksformen bedient. In brightness (2022) werden durchdringende Klangbänder aus nervösen Geräuschen verwendet, um eine akustische Analogie zu der Empfindung herzustellen, direkt in ein blendend helles Licht zu schauen. Überwältigt und von allen Empfindungen gelöst, gerät der Geist in einen erhöhten, meditativen Zustand. In Kontakt (2021) bilden und entladen sich laute und physisch anstrengende Klangblöcke: Wie schwarze Löcher komprimiert diese superdichte Masse Zeit und Raum und zieht unaufhaltsam alles in sich hinein. Und doch ist die private Realität nie weit entfernt von diesen abstrakten Räumen, sei es in Form des gesprochenen Textes in sh[out], eines geflüsterten orthodoxen Gebets gegen Ende von brightness oder, am eindrucksvollsten von allen, einer verzerrten Aufnahme des Liedes „So This Is Love“ aus Disneys Cinderella in Nebulae. Diese Momente wirken wie Orientierungs- oder Kristallisationspunkte, um die sich kontrastierende Intensitäten bilden. Für Mutić stellen sie den Kern ihres künstlerischen Schaffens dar: die persönlichen Punkte, aus denen ihre Musik wächst.

Tim Rutherford-Johnson
Übersetzung: Anna Jäger

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