Terry
Riley
Als Terry Riley (geb. 1935) sein dreimonatiges Stipendium beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 antrat, war er in Europa bereits ein bekannter Musiker und Komponist. Vielen galt er als eine Crossover-Figur, die nicht nur die erweiterten Zeitkonzepte der amerikanischen Nachkriegs-Avantgarde in Anspruch nahm, sondern mit seiner Hinwendung zur indischen Musik die Sehnsüchte der Hippie-Generation bediente, die auf der Suche nach Alternativen zum American Way of Life war. Rileys Auftritte als Composer-Performer erschienen ungewohnt und erzeugten eine beinahe messianische Aura. Zudem war seine Musik für ein mit dem psychedelischen Rock der Zeit vertrautes Publikum deutlich kommensurabler als die Resultate der strengen mikrotonalen Untersuchungen, die sein Freund La Monte Young zeitgleich präsentierte. Riley wollte übrigens gemeinsam mit La Monte, dessen Frau Marian Zazeela und dem indischen Sänger Pandit Pran Nath, bei dem Riley und Young seit Beginn der 1970er Jahre studierten, nach Berlin kommen, doch dieser Plan zerschlug sich.
Als Arbeitsvorhaben gab Riley auf dem Antragsformular an, seine musikalische Beschäftigung mit der elektrischen Orgel fortsetzen zu wollen, die er Mitte der 1960er Jahre begonnen hatte. Bekannt wurde er mit dem Stück A Rainbow in Curved Air, das er 1969 auch in Form einer Schallplattenaufnahme vorlegte. Der entscheidende Durchbruch – vor allem in Europa – gelang ihm mit der in Frankreich 1972 veröffentlichten Doppel-LP Persian Surgery Dervishes. Seit 1976 arbeitete der Komponist an Shri Camel, einem neuen Stück für seine in reiner Stimmung gespielte zweimanualige Yamaha-Orgel. Die 1980 erfolgte Schallplattenveröffentlichung des Werks präsentiert eine klangliche Erweiterung von bis zu 16 Orgelstimmen, die unter Zuhilfenahme eines digitalen Delay-Systems möglich geworden war.
Zur Live-Wirkung von Terry Riley gehörte, dass er quasi als Ein-Mann-Orchester in Erscheinung trat. Während seine amerikanischen Kollegen Philipp Glass und Steve Reich in den 1970er Jahren in Europa in der Regel mit einem kostenträchtigen Ensemble unterwegs waren, reiste Riley allein. Allerdings musste für ihn eine Menge an elektronischem Equipment transportiert werde: Zur Orgel kamen zwei Tonbandgeräte, ein Mischpult und eine Verstärkeranlage hinzu. Diese Apparaturen gewährleisteten die „time lag accumulation“, von der Riley sprach, einer Zeitverzögerungsakkumulation. Sein Tape-Delay-System ermöglichte es, verschiedene musikalische Verläufe simultan und in sukzessiver Verschiebung der Zähleinheiten zu präsentieren. Ein dichtes, aber zugleich transparentes Geflecht auf der Grundlage von kurzen Motiven entstand, die sich in Verkettung und unablässiger Wiederholung zu mäandernden Verläufen verdichteten. Riley spielte live zu dieser Klangtextur, um jedes Konzert zu einem unwiederholbaren Ereignis für das Publikum werden zu lassen.
Nachdem Terry Riley bereits im September 1974 das erste Metamusik-Festival in der Neuen Nationalgalerie mit seiner Komposition Descending Moonshine Derwishes eröffnet hatte, war er im Oktober 1978 während seines Berlin-Stipendiums mit Shri Camel beim dritten und letzten von dem Radioredakteur und Konzertveranstalter Walter Bachauer kuratierten Event zu Gast.
In Berlin hatte Riley 1978 zudem Kontakt zu Edgar Froese, dem Gründer der Rockband Tangerine Dream. Froese ermunterte Riley, auch andere Keyboardinstrumente als die Orgel zu verwenden und lieh ihm seinen Korg-Synthesizer – was eine nachhaltige Wirkung auf Riley hatte, denn er fing in den Folgejahren an, die Konzeption seiner Orgelmusik auf Synthesizer zu übertragen.
Und noch in einer weiteren Hinsicht ist das Jahr 1978 für Terry Riley von Bedeutung, denn er begann seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Kronos Quartet.
Text: Thomas Groetz