Polen, Musik, 1970

Włodzimierz
Kotoński

Als Włodzimierz Kotoński (geb. 1925 in Warschau, gest. 2014 ebenda) 1970 eine Einladung des Berliner Künstlerprogramms des DAAD (BKP) erhielt, war er bereits ein etablierter Komponist. Die Rezeption seiner Musik zu dieser Zeit war jedoch zwiespältig. Im Ausland war er populär, seine Stücke wurden in Venedig, Köln, Darmstadt, Kopenhagen, Prag und London uraufgeführt. In seinem Heimatland Polen fand seine Musik aber nicht die gleiche Anerkennung. Kotoński etablierte sich als Pionier der elektroakustischen Musik, setzte in seinem Werk regelmäßig Serialismus, Aleatorismus, Musique concrète und elektroakustische Techniken ein. Neben Tonbandmusik schrieb er auch Musik für Kammerensembles und kleinere Instrumentalbesetzungen, wobei er sich selbst als gemäßigten Modernisten bezeichnete. Oft komponierte er Musik für akustische Instrumente und Tonband, hob dabei klangliche Qualitäten und Timbre hervor. Vielleicht lag es an seinem mangelnden Interesse am Komponieren für größere symphonische Orchester oder an seiner Beschäftigung mit elektronischer Musik –jedenfalls gelangte sein Werk nicht ins Rampenlicht. Die Rezeption der frühen elektronischen Musik war ähnlich problematisch: von der Musikkritik verurteilt, aber vom Publikum euphorisch aufgenommen. Als ständiger Mitarbeiter des gerade gegründeten Experimentalstudios des Polnischen Radios verfasste Kotoński die Etiuda konkretna na jedno uderzenie w talerz (Studie für einen einzigen Beckenschlag), die erste polnische Komposition Konkreter Musik.

Dank seiner Sprachkenntnisse – Kotoński sprach fließend Deutsch, Französisch und Englisch – konnte er seinen Appetit auf westliche Avantgarde-Musik stillen und viel ins Ausland reisen. Zu dieser Zeit war der Zugang zur internationalen Avantgarde im sozialistischen Polen noch recht begrenzt, mit Ausnahme des Warschauer Herbstes und des Experimentalstudios, zwei dynamischen Zentren der zeitgenössischen Musik, die einen regen kulturellen Austausch zwischen Ost und West pflegten. 1957 gehörte Kotoński zur ersten Gruppe polnischer Komponisten, die zu den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik nach Darmstadt eingeladen wurden, wohin er bis 1961 regelmäßig zurückkehrte. Er lernte dort eine Gruppe von Musikern, Komponisten und Kritikern kennen, die sich für seine Arbeit interessierten. Zu ihnen gehörten der Flötist Severio Gazzelloni und der Oboist Lothar Faber, die zu seinen langjährigen Weggefährten wurden. In den Jahren 1966/67 arbeitete Kotoński im Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln. Während seines Aufenthalts in Berlin in den Jahren 1970/71 konnte er die musikalischen Freundschaften und beruflichen Beziehungen ausbauen, die er bereits in Westdeutschland geknüpft hatte. Kotoński traf im Oktober 1970 aus Paris in Westberlin ein, wo er gerade die Arbeit an seiner Euridice für Tonband im GRM-Studio beendet hatte. Seine Kollegen in Berlin empfingen ihn mit offenen Armen, schätzten sie doch sein Fachwissen über elektronische Musik und seine Bereitschaft, dieses Wissen mit anderen Studiomitarbeitern zu teilen. Während seines Aufenthalts komponierte Kotoński Multiplay, ein Instrumentaltheater für sechs Blechblasinstrumente, das er als „mein Berliner Stück“ bezeichnete. Sein Concerto per oboe (auch d’amore) mit Elektronik, sechs Blasinstrumenten und Orchester war ein Auftragswerk des Senders Freies Berlin und wurde im April 1972 in Westberlin von Lothar Faber und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin uraufgeführt.

Text: Monika Żyła

Übersetzung: Anna Jäger

zum Seitenanfang