Yair
Klartag
Die Leere füllen
Wenn Yair Klartag – wie in nothing to express – die E-Gitarre ins Spiel bringt und das Streichquartett mit technoiden, sinustonartigen Sounds infiziert, hat dieses Zusammentreffen so gar nichts Gewolltes. Kein demonstrativer Brückenschlag zwischen Pop- und Hochkultur, kein Crossover, nicht einmal exotisch klingt die E-Gitarre im Kreis der vier Streicher.
Es ist ein eigenes, neues Idiom, das hier entsteht. Die glatten, morseartigen Signale der Gitarre treffen auf den geräuschhaft verschmutzten Sound des klassischen Quartetts. Ganz kurz gibt die E-Gitarre zu erkennen, woher sie stammt. Ein schnelles Glissando, ein bratziger Sound. Doch im Grunde ist nicht klar, wer hier wen infiziert. Mit nothing to express hat der 1985 in Israel geborene Yair Klartag eine Musik geschaffen, in der die Instrumente so selbstverständlich koexistieren, als hätte sie nie ein kultureller Graben getrennt.
Was passt in die gängige Ästhetik und was nicht? Was nehmen wir als normal hin, fragte sich der Komponist auch, als er 2014 in einem Café im Trendviertel von Tel Aviv den Raketen am Himmel zusah, während er über sein nächstes Stück nachdachte. In eben diesem Werk, A Villa in the Jungle, versucht er der paradoxen Situation kompositorisch Ausdruck zu verleihen. Der altmodische Begriff des „Ausdrucks“ beschäftigt Yair Klartag nicht nur in Werktiteln und Kommentaren, in denen er oft auf Samuel Beckett Bezug nimmt. Auch Nothing to express ist so ein Beckett-Zitat. Es beschreibt die paradoxe Reaktion auf eine Kunst, die ihrer selbst überdrüssig geworden ist. Eine Kunst, so Beckett, „die sich mit Ekel von ihr abwendet, die ihrer dürftigen Ausbeute überdrüssig ist, überdrüssig des geheuchelten Könnens, des Könnens überhaupt, überdrüssig, immer wieder die gleiche alte Sache ein bisschen besser zu machen, ein Stückchen weiterzugehen auf einer trostlosen Straße.“
Yair Klartag begann erst mit 13 Jahren, Klavier zu spielen. Zwei Jahre später erhielt er den ersten Kompositionsunterricht an der Schule – sein Lehrer praktizierte einen unakademischen Ansatz, der der Faszination für die Arbeit mit Klang den nötigen Freiraum ließ. 2006 begann Klartag bei Ruben Seroussi an der Buchmann-Mehta Musikhochschule der Universität Tel Aviv Komposition zu studieren, wechselte 2010 nach Basel zu Georg Friedrich Haas und ging anschließend als Doktorand an die Columbia University nach New York.
Yair Klartag ist ein ebenso klang- und materialversessener wie gedanklich konsequenter Komponist. Die Frage des Ausdrucks führt ihn zwingend zur grundsätzlichen Sinnfrage, und schon 2010 in Background Music for Fundraising Event, in dem die Orchestermusiker Dokumente menschlichen Leids verlesen, zu Oscar Wildes Konklusion: diese Kunst sei „völlig nutzlos“. Bei Wilde hieß es allerdings noch „alle Kunst“. Yair Klartag hat die Hoffnung offensichtlich nicht aufgegeben, eine Musik zu komponieren, die „Momente, authentischen, ehrlichen Ausdrucks“ übermittelt, ohne selbstreferenziell um sich selbst zu kreiseln. In einer seiner jüngsten Ensemblekompositionen There’s no lack of void (2016) beschäftigt ihn der akustische Informationsüberfluss, der jede Bedeutung verschluckt. Auch hier ist wieder Samuel Beckett die geistige Leitfigur, liefert auch das Zitat für den Werktitel. „Es herrscht kein Mangel an Leere“ ist ein Versuch, das Überangebot musikalischer Reize nicht nur darzustellen, sondern sie zugleich auch kompositorisch zu entsorgen, ohne dass die negative Ästhetik auch die Musik in den Müll gibt.
Text: Martina Seeber